Viel zu spät begreifen viele die versäumten Lebensziele: Freude, Schönheit der Natur, Gesundheit, Reisen und Kultur. Darum, Mensch, sei zeitig weise! Höchste Zeit ist's: Reise, reise! - Wilhelm Busch

Samstag, 6. November 2010

Good morning, teacher!

Montagmorgen war es also soweit. Ich hatte mal wieder meine Sachen gepackt, trug das erste Mal seit langem schicke Schuhe und Bueroklamotten und wartete mit Puki und sabine, der Deutschen Betreuerin des Projektes Thai Experience, auf den Bus. Wann der nun wirklich fuhr, fand Puki erst kurz vor knapp heraus, in Thailand ist man da etwas flexibler mit den Fahrplaenen :-) Doch dann bog er um die Ecke, der kleine gelbe Bus, statt Air Condition gab's offene Fenster, was die Thais hier dazu veranlasst, die Jacke gleich ganz zuzumachen, denn es ist ja kalt. Kalt heisst, das Thermometer bewegt sich statt bei ueber 30 Grad so um die 25 und geht auch schonmal gen 20, abends. Dass bekommt sogar der Hund ein T-Shirt umgeknotet und der Thai legt den Schal um. Die gibt es hier ueberall auf den Maerkten zu kaufen. Wollmuetzen ebenso...

Unser Ziel ist Tha Bo, ein Staedtchen ca 30 Kilometer von Nongkhai entfernt. Dort holt uns Noi, die Englischlehrerin ab. Noi heisst uebersetzt klein. Und das ist sie auch. Eine kleine, stille Maus. Die gross aus den dunklen Mandelaugen guckt, wenn ich etwas auf Englisch sage. Ich schiele zu Sabine neben mir. Will ich wirklich an eine Schule, wo nichtmal die Englicshlehrerin mich versteht? Mein Thai beschraenkt sich auf ein paar Saetze wie "es schmeckt sehr gut" (werde ich sehr oft sagen)... Ich lerne zwar tagtaeglich etwas dazu, aber wird es reichen? Schon biegen wir ab auf eine unasphaltierte Strasse, neben uns immer mehr Reisfelder, dazwischen Palmen und Zuckerrohr, auf der Strasse trotten ab und an braune Kuehe, schwarze Wasserbueffel. Holzhaeuser auf Stelzen saeumen den Strassenrand, unter den Haeusern picken Huehner, liegen Maenner traege in Haengematten, Frauen schaelen Gemuese, die besseren Familien haben keine Stelzenhaeuser, da ist das Erdgeschoss schick gefliest, der Fernseher flimmert, oben im 1. Geschoss sind die Waende dann doch wieder aus Holz, ueber die Daecher huschen Katzen und anderes Getier, an den Mauern kleben Geckos. Landleben. Die Strassenschilder sind nicht mehr alle auf Thai und Englisch, meist nur noch ellenlange Thaibuchstabenschlangen.

Wir kommen an. Meine Gastfamile gehoert eindeutig zu den etwas wohlhabenderen. Ein etwas grummelige alte Dame empfaengt uns, ihre Stime kraechzt, als habe sie Halsweh oder eine durchzechte Nacht hinter sich. Die Dame, die ich ab sofort Mae nennen werde, was Mutter bedeutet, geleitet mich zu meinem Zimmer im Erdgeschoss. Es hat zwar kein nach aussen gehendes Fenster, dafuer aber eine Klimaanlage, ein grosses Doppelbett mit gebluemten Decken, einen grossen Kleiderschrank, Schminktisch und - einen eigenen Fernseher. Und Klopapier aufm Klo. Zeit, alles zu entdecken, bleibt nicht, es geht weiter zur Schule. Dort findet ein Fest statt, kein Unterricht heut. Das erfahren wir erst bei der Ankunft. Macht nichts, mai bpen rai, dann feiern wir halt. Und schon trete ich ins Fettnaepfchen. Einer der Lehrer kommt auf mich zu, ich gruesse artig mit einem Wai, den vor der Brust zusammengelegten Haenden, je hoeher, desto hoeher der Rang der gegenueberstehenden Person, verbeuge mich dabei. Er fragt, wo ich herkomme. Ah, Deutschland! Trinkst Du Bier, fragt er. Aehm, ja, schon, sage ich, denke, dass die Frage allgemein gehalten war...is sie aber nicht!. Schon flitzt er in die Kueche und kommt mit einer eisgekuehlten Flasche und 2 Glaesern zurueck, meine Augen werden immer groesser, es gibt keinen Weg zurueck, schon ist das Bier im Glas, 11 Uhr vormittags, 30 Grad, Mahlzeit. Alle lachen. Ich habe das Vorurteil ueber Bier saufende Deutsche prima bestaetigt und muss mitlachen.



Wenig spaeter nutze ich die naechste Gelegenheit zur Blamage. Volleyball. Ich denke, die Schuelermannschaften spielen und nicke, als man mich aufs Feld winkt. Dass da aber gestandene Lehrer stehen, die einfach oft nur jung aussehen und vor allem Volleyball spielen koennen, als taeten sie nie etwas anderes, merke ich erst wenig spaeter und versemmele saemtliche Baelle. Immerhin koennen sie noch alle drueber lachen, wie die Deutsche barfuss ueber das Feld hoppst...



Nach einer halben Stunde werde ich auf die Tanzflaeche vor der Buehne gezerrt. Da sehe ich etwas besser aus und der Saenger will mich prompt auf der Buehne haben. Ich kann mich grad noch so dagegen wehren. Nicht aber dagegen, dass mich der Lehrer, der mir das Bier angedreht hat,  schnappt und einen thailaendischen Tanz mit mir hinlegt, unter groesstem Gejohle der ganzen Belegschaft und einiger Schueler. Dazwischen gibt es immer mal ein paar Snacks, die ich von den Lehrern auf den Teller geschoben bekomme. Dann gehts weiter, Fussball, Maenner gegen Frauen. Ich zeige immer nur auf meine pinken Ballerinas, ich kann nicht spielen und komme nochmal davon. Obwohl ich wohl nicht schlechter gespielt haette als die Maedels, die den maennlichen Lehrern wild am Shirt zerren und ueber den Platz holpern. Begleitet von einem heiseren Kommentator, der auch imer wieder etwas in meine Richtung sagt, was wiederum von Gejohle begleitet wird. Ich lache mit. Mir bleibt auch nichts anderes uebrig :-)

 Von Zeit zu Zeit kommt der - zugegeben - charmante (und genauso grosse!) Direktor vorbei, um zu sehen, ob es mir gut geht. Meine Englischlehrerin fragt hundertmal, ob ich heim will und ausruhen will, mag ja sein, dass dies ein versteckter Hinweis war, dass sie gehen will, doch da noch alle da sind, will ich nicht gehen. Ich gebe erst beim gefuehlten 200. Mal nach und lasse mich von ihr nachhause fahren.

Dort sind auch schon Tiu und Ping, die Toechter von Mae, sowie die Enkel Ton und Paewa, er ist sieben und sie 5. Und zuckersuess. Ton packt mir erstmal ein paar seiner Suessigkeiten auf den Tisch, Paewa beaugt mich und betastet meine Nase, die alle hier sogar noch besser als meine blonden Haare finden. Mae tischt derweil auf, dass der Platz kaum reicht auf dem niedrigen Tisch, an dem ich auf dem Boden sitztend Platz genommen habe, immer mit dem Woerterbuch dabei, was allseits Heiterkeit erregt, wenn ich darin herumfingere und mir etwas zusammenstottere, in einer Backentasche noch Reis, Banane und Fisch. Ich bin dem Platzen nahe... fuers Fruehstueck wuensche ich mir Thai-Essen. Bitte kein Toast oder Kaffee, das kriege ich bald wieder jeden Morgen. Also steht am naechsten Morgen wieder der ganze Tisch voll: Suppe, Curry, Reis, Gemuese in jeglicher Form, Fisch gebraten und irgendwie roh, erinnert an Matjes, Fruechte, guene Mangos in Streifen, die dann in scharfe Sosse oder einer Salz-Zucker-Chilli-Mischung getunkt werden, ich platze schon wieder fast...das geht jeden Tag so, morgens, mittags in der Schule, wo ich von Koechin und Lehrerin und sogar dem Direktor den Teller immer wieder mit leckeren Dingen belegt bekomme, abends nicht anders.


Ton


Die kleine Paewa und ich

Der erste Schultag... am Morgen wird angetreten zum Appell. Ein paar Kinder spielen die Hymne. Ein Schueler singt sie etwas schraeg ins Mikro, die Flagge wird gehisst, die Schueler stehen in Reih und Glied und wackeln doch staendig herum, plappern, sticheln sich gegenseitig, die Jungs haben Kapuzenjacken ueber der Uniform, tief ins Gesicht gezogen, manche fummeln noch am Handy herum, das erinnert schon an Deutschland. Dann folgen ein paar kleine Ansprachen, ein paar Schueler werden gelobt und ploetzlich schubst mich Noi Richtung Mikro, ich solle mich vorstellen. Der Direktor laechelt auch schon. Also stelle ich mich vor, auf Thai und Englisch, 135 Schueler um mich herum, 18 Lehrer dazu. Ich habe es ueberlebt :-)


Mein Klassenzimmer, der Lehrer steht, die Schueler sitzen auf dem Boden

Die Landschaft um die Schule herum


Der erste Unterrichtstag ist jedoch etwas frustrierend. Dadurch, dass Noi selbst kaum Englisch spricht, weiss ich nicht, warum ich nur ein paar Kinder im stuhl- und tischlosen Raum habe, die immer mal wieder kommen und gehen, genauso wie Noi, die zwischendurch mal fuer eine gute Stunde selbst verschwindet. Also spiele ich mit den Kindern Memory mit englischen Begriffen, singe ein bisschen Old MacDonald had a farm. Und hoere mir von den Aelteren, die um die 14 Jahre sind, Texte an. Sie lesen sie ab, doch ich denke dennoch, mein Gott, prima, ist ja hohes Englisch, wenn jemand sagt "food is a source of enjoyment". Und werde bitter enttaeuscht, als ich nachfrage. Die Kinder verstehen nichts von dem, was sie ablesen und fuer einen spaeteren Test auswendig lernen muessen. Sie koennen auch nicht bzw. nur schlecht die lateinische Schrift lesen. Noi hat in Thaischrift nicht etwa Uebersetzungen zwischen die Zeilen geschrieben, sondern auf Thai die Lautschrift. und auch das noch nichtmal richtig, es fehlen haeufig Endungen. Noi hat die Texte offensichtlich selbst auch nur abgeschrieben, denn auf Nachfragen  kann sie nicht viel sagen. Ok, also ganz von vorn anfangen. Ich kann schliesslich auch kaum Thai und weiss doch, dass alles ganz schoen schwierig sein kann...am Nachmittag quaeken dann gut 30 kleine Kinder mit mir am Mikro nochmal Old Mac Donalds Lied, der Direktor trommelt dazu. Mein Fluchtinstinkt hat sich gemeldet, aber ich war staerker ;-)

Ah am nechsten Tag stehe ich wieder vor den Kindern, diesmal sitzen uebberaschend sehr viele im Raum, anscheinend ist heut richtiger Unterricht. Noi meinte, ich solle immer vormittags unterrichten. Ich willige ein. Und sehe kurz darauf, dass dies meist die groesste Arbeit ist, denn nachmittags ist nicht mehr viel regulaerer Unterricht. Noi sitzt wenigstens meistens mit in der Klasse und notiert sich einiges. Ich loese an die Tafel gezeichnete Kreuzwortraetsel und Buchstabensalate mit den Kindern und ziehe auch die ein oder andere einfache Grammatikeinheit durch. besonders den Jungen faellt es schwer, die Maedchen sind meist viel weiter und wissbegieriger. Jungs, die eben noch auf dem Schulgelaende aus sicherer Entfenung mir ein "i love you" hinterher gebruellt haben, sitzen ploetzlich verschuechtert in der hintersten Ecke und getrauen sich kaum zu mir an die Tafel, da muss ab und an der Kumpel mitkommen, wenn sie etwas schreiben muessen. Und dann sind sie doch stolz wie Oskar, strahlen mich an, wenn sie etwas richtig buchstabiert haben, verbeugen sich kurz, bevor sie zum Platz zurueckkehren und bruellen am Ende der Stunde mit am lautesten mit allen im Chor "Good bye, teacher! Thankyou! See you next time!"

Das Kollegium schaut in der Pause auch schon ganz interessiert, wenn ich an den Platz komme und lacht und gackert (es sind meist Frauen ;-). Am ersten Abend nehmen mich die Frauen, eine eingeschworene Clicque, ohne Noi,  mit auf einen Markt. Die grummelige Alte, Mae, taut langsam auf und kichert schoinmal mit im Auto, in dem wir hinten zu viert quetschen. Ihre Tochter und die Koechin verpassen mir auf dem Markt eine kitschig gruen-weisse Haarspange und ein Armband dazu. Und natuerlich wird Essen gekauft. Das wird dann zurueck zur Schule gekarrt und gemeinsam verzehrt. Am naechsten Abend gehts nach Tha Bo, auch wieder zum essen. Ich kann mir all die Sachen, die ich zugeschoben bekomme, gar nicht merken. Fuer einen kurzen Schrecken sorge ich dann auch noch, als ich merke, dass mich schon wieder ein Biest gestochen hat, mir auf den Ruecken haue und zur Erklaerung meine "Ngu". das heisst aber Schlange und nicht Moskito, Moskito heisst "jung". Die Frauen wirbeln herum, um mir die Schlange zu entfernen und lachen kurze Zeoit spaeter, als ich meinen Irrtum bemerke... Am 4. Abend fahren wir - na klar - wieder zum Essen. Diesmal mit dem Direktor hoechstpersoenlich, der uns in einem alten Bus zum Restaurant karrt. Beim Schalten quaelt er das Getriebe zur Belustigung der Lehrer derart, dass diese halb auf der Lehne des Vordermanns liegen vor Lachen. Ich werde also wohl fett und voller Lachfalten wiederkommen :-)

Mangos knabbern

Es ist angerichtet

Gemeinsam isst es sich besser


Gemaestet werde ich auch wieder am Freitag, eine Art Massenraclette, zurueck in Nongkhai. Der 19jaehrige Sohn einer Lehrerin kam kurz vorher dazu und uebersetzt brav, er kann ganz gut Englisch. Die Fahrt auf der Ladeflaeche des Pickup war ein weiteres Highlight. Fuer mich und die Bevoelkerung, denn ein blondes Maedel mit einem Thaijungen auf der Ladeflaeche, das ist schon ein Hingucker :-)




Morgen, am sonntag, werde ich mit den meiner Gastfamilie und den Nachbarn, die mich natuerlich sofort am 1. tag begutachten kamen, einen Ausflug machen. Wie ich zurueck ins Dorf komme, weiss ich noch nicht so genau. Aber das klappt schon. Irgendwie. Mai bpen rai :-)

1 Kommentar:

  1. Hallo Sylvia, happy thirty wuenschen wir dir direkt von La Gomera :-) Erhol dich gut vom wilden Feiern!

    Sonnige Gruesse von Andreas + irina

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