Viel zu spät begreifen viele die versäumten Lebensziele: Freude, Schönheit der Natur, Gesundheit, Reisen und Kultur. Darum, Mensch, sei zeitig weise! Höchste Zeit ist's: Reise, reise! - Wilhelm Busch

Sonntag, 28. November 2010

Abschiede

Wenn ich auf meiner Reise eines nicht unbedingt mochte, dann waren es die Abschiede. Abschiede von Landschaften. Abschiede von Menschen. Ich halte es zwar ein bisschen wie das Koelner Urgestein Trude Herr, die so schoen gesungen hat "Niemals geht man so ganz", doch schoen ist der Moment dann trotzdem nicht. Und nun kam wieder so eine Zeit. Vier Wochen Schule waren rum wie nix. Auch wenn ich Momente hatte, in denen ich dachte, "Oh Gott, wie soll ich das denn noch aushalten?", wenn daheim die Kinder schon um 5 Uhr rumkraehten, Noi mich irgendwo geparkt hatte und ich nicht wusste, was nun passiert, oder ich mal wieder gar nichts verstand. Ueberwogen hat am Ende eines jeden Tages die Freude. Die Freude ueber jedes gelernte Wort seitens der Schueler und meinerseits, Freude ueber all die laechelnden Gesichter, die laue Brise am Abend bei der Fahrt durch die Reisfelder.

Am Mittwochnachmittag eroeffnete mir Noi, dass ich am naechsten Tag meine Abschiedszeremonie bekaeme. Mir rutschte das Herz in die Hose, ich sass grad noch an meiner Abschiedsrede, die ich am Freitagmorgen beim Appell halten wollte. Auf Thai. Geuebt hatte ich sie noch gar nicht, Noi musste mir ja noch den Grossteil uebersetzen. Nun also einen Tag frueher. Am Donnerstagmorgen klebten meine Haende an der A4-Seite, auf die ich in lateinischen Buchstaben die Thairede gekritzelt hatte. Auswendig lernen war nicht mehr drin. Und dann drehen sich gut 130 Koepfe zu mir, als einer der Lehrer mich ankuendigt. Zusammen mit Noi gehe ich an den aufgereihten Schuelern entlang, vor zum Mikro. Nach den ersten Worten wird es tatsaechlich still, selbst die Kleinsten gucken mit grossen Augen, lachen, als ich ein breit gezogenes "Saep laaaaiii" rausquetsche, um zu sagen, dass das Essen hier immer lecker war und mich bei den Koechen bedanke. Noi neben mir schnieft, als ich mich bei ihr bedanke. Es war einer jener Momente, in denen es mir schwer fiel, die Fassung zu bewahren. Aber bei weitem nicht der letzte.



Am Nachmittag dann die Abschiedszeremonie. In der Halle sitzen alle Schueler auf dem Boden, auf der Buehne knien die wichtigsten Lehrer und mehrere hohe Personen, einer davon ist eine Art Priester, der mir gute Wuensche und Segen mit auf den Weg geben wird. Ein grosses Gesteck aus Bananenblaettern steht in unserer Mitte. Noi und Mae assistieren mir beim folgenden, komplizierten Ablauf. Als erstes zuende ich die Kerze auf dem Gesteck an. Dann legt mir Mae einen langen, weissen Baumwollfaden ums Handgelenk. Macht einen Knoten, legt das andere Ende ums Gesteck, macht es dort fest. Ich kniee, bekomme noch kleine, duftende, weisse Bluemchen in die Hand, bevor die Segnungen beginnen. Es erinnert mich etwas an den monotonen Singsang der Moenche in Tibet. Mir rinnt der Schweiss den Ruecken hinunter, es ist heiss. Mir schmerzen die Fuesse, die Waden, mir schlafen die Beine ein, die Haende werden schwer. Doch die lauten a la "Viel Glueck"-Rufe aus 130 Kinderkehlen entschaedigen alle mal fuer die Strapazen. Dann muss Mae den Baumwollfaden durchtrennen, der mich mit dem Gesteck verbindet. Sie mueht sich nach Kraeften, ihn zu zerreissen, doch es gelingt ihr nicht. Ein Zeichen, meint sie, ich muss bleiben. Andere helfen ihr, es dauert eine Ewigkeiten, bis der Faden dann doch reisst. Dann folgen weitere Faeden, die mir von den Lehrern ums Handgelenk gebunden werden, getaetschelt und verrieben werden, mit vielen Glueckswuenschen dazu, waehrend ich in der einen Hand ein Schuesselchen mit Suessigkeiten und einem Ei halte, was ich spaeter alles noch essen muss, in die andere Hand bekomme ich Blumen gelegt. Noi und Mae stuetzen meine Ellbogen. Legen die Blumenmassen ins Gesteck.

Nach den Lehrern reihen sich alle Schueler auf. Jeder bringt ein paar Bluemchen, einer sogar einen Stift, ein Lehrer noch einen Geldschein. Die Schueler werden angehalten, ihre Baumwollfaeden nur ueber mein Handgelenk zu legen, nicht festzubinden. Doch die Schueler, mit denen ich am meisten zu tun hatte, ignorieren die Anordnung und binden mir die Faeden um, manche gucken dabei schon recht traurig und lassen sich nicht recht damit troesten, dass ich am naechsten Tag ja nochmal da bin. Zwei Maedels bringen mir selbst gemalte Bilder mit Herzchen und "I love you" drauf, eine hat sich sogar an die Deklinationen erinnert, die ich mit ihr durchgegangen bin und neben "I love you" auch noch "We love you" und "They love you" drunter geschrieben. Ganz am Ende steht "I happy", nunja, der naechste Freiwillige muss da wohl doch noch etwas ueben ;-)





Nach der Zeremonie humpel ich von der Buehne. Wohin? Na klar, an den reich gedeckten Tisch :-) Dort steht ein ganz besonderes Essen, an dem ein paar Lehrer knabbern. Schlange. Und ich mache meinem Ruf als kleiner Viel- und Allesfresser mal wieder alle Ehre. Es schmeckt wie Schweinefleisch, finde ich. Manche sagen, wie Huhn. Aber es schmeckt :-)




Die folgenden Wege uebers Schulgelaende waren nicht mehr diesselben wie zuvor. Nun stand irgendwie keine Barriere mehr zwischen den Schuelern und mir, ich war nicht laenger mehr die etwas unberuehrbare Lehrerin. Jetzt stuermten die Kleinen zu mir, hielten mich bei den Haenden, zogen an den Armen, tippten mir staunend an die lange Nase, nein, ich darf doch nicht gehen, nein, das ginge nicht. Das waren die schwersten Momente. Oder die am naechsten Freitag, wo die Kleinen sich foermlich drum kloppten, wer ganz vorn aufs Foto darf oder neben mich und mich mehr als einmal beinah zerquetscht haetten :-) Die Teenager waren zurueckhaltender, fotoscheuer, doch viele kamen nochmal, um sich zu verabschieden, die Jungs klopften mir kumpelhaft auf die Schulter, der eine war ganz stolz, als ich ihm auf Thai erklaerte, dass er ein Trikot von einer der besten europaeischen Mannschaften traegt (Real Madrid) und ich war ganz geruehrt, als er meinte, "Joeromanie" sei trotzdem sein Lieblingsfussballland :-)






Nach diesen Abschieden folgte am Abend noch der von meiner Familie. Sie brachten mich nach Nongkhai, Mae, Tiu, die zwei Kinder Ton und Paewa, die Schulkoechin Wan, Noi mit ihren 2 Toechtern. In Nongkhai gab es dann zusammen mit Sabine, Puki und ihrem Sohn Jonas natuerlich ein grosses Abschiedsessen. Mae nutzte das, um mir zum letzten Mal immer wieder den Teller aufzufuellen, mich zu taetscheln. Haette ich das gedacht von dieser anfangs stillen, grummeligen aelteren Dame? Nein. Ich weiss nicht mehr, wie oft ich versichert habe, wiederzukommen. Wie oft wie gesagt haben, dass wir uns vermissen werden. Sogar das Autofenster wurde nochmal runtergefahren, um ein letztes Mal Tschuess sagen zu koennen... Das einzig positive an Abschieden ist, dass sie die Chance bieten, ein Wiedersehen feiern zu koennen. Das werde ich mir auch heute abend sagen muessen, wenn ich mich von den Leuten in Nongkhai verabschiede, in den Bus nach Bangkok steige, um dort morgen nachmittag nach Krabi im Sueden zu fliegen... Ohne Abschied kein Wiedersehen...

 

1 Kommentar:

  1. Deine Zeit hier war viel zu schnell 'rum. Ich hoffe Du machst Deine Ankuendigung wahr und kommst wieder - auf Besuch oder als Freiwillige.

    AntwortenLöschen