Viel zu spät begreifen viele die versäumten Lebensziele: Freude, Schönheit der Natur, Gesundheit, Reisen und Kultur. Darum, Mensch, sei zeitig weise! Höchste Zeit ist's: Reise, reise! - Wilhelm Busch

Montag, 30. Juli 2012

GR20 Süd, 4. Etappe: Refuge Usciolu - Bergerie Croce

Ich traue meinen Augen kaum. Es ist kurz nach sechs, ich komme aus dem Holzhäuschen mit dem schönen Hockklo und wer hockt da vor mir auf einem Felsen? Klaus. Einer der drei Deutschen. Wieder ein Wiedersehen. Am Vortag waren alle drei gegen 22 Uhr angekommen. Weil die Kleine weitergehen wollte. Wir sagen noch, wo wir als nächstes übernachten werden - schließlich liegen drei Möglichkeiten vor uns, wir wählen die letzte auf dem Weg, damit wir am nächsten Tag genug Zeit haben, auf den Monte Incudine zu steigen. Der alte GR20 führte noch über diesen großen, letzten 2.000er im Süden, die neue Variante lässt ihn schlicht links liegen. Nicht mit uns :-)

Beim anschließenden Frühstück folgt Überraschung Nummer zwei. Mit einem lauten Zischen und einem anschließend beißend unangenehmen Gestank entweicht all das Gas aus der Kartusche, die Haimon an den Kocher anschließen wollte. Sie passt nicht. Das passt mir nicht. Schließlich hatte ich das gute Stück gekauft, Haimon hatte nichts einzuwenden und die richtige Nummer hatte sie auch. War wohl ein Montagsprodukt, so ein Mist. Der Kaffee blieb also in seiner Verpackung, das Nutella-Imitat aus dem Refuge-Laden war immerhin eine kleine Rettung. Unsere zwei älteren Briten sind derweil schon oben am Denkmalsgrat angekommen, sie gehen den alten GR20. Sie hatten übrigens keinen Kocher dabei - stattdessen haben sie jeden Abend eine Portion Couscous in kaltes Wasser eingeweicht und am nächsten Morgen mit Käse und Dosen-Thunfisch verspeist. Das sind die waren Hardcore-Wanderer, denke ich mir. Wenig später steht Er wieder vor mir, etwas aus der Puste, sucht seine Karte, findet sie nicht. Kurzentschlossen reiche ich ihm meine. Wir brauchen sie nicht mehr, unsere Variante ist eh nicht drauf bzw. so gut markiert, dass man kaum eine Karte braucht. Man ärgert sich eher, dass der Wanderführer was ganz anderes schreibt, als letztlich die Karte zeigt - und die stimmt dann aber.



Wir kraxeln den Grat entlang, von dem der Wanderführer schreibt, das sei im Sommer morgens wie der Wechsel zwischen Kühlschrank und Ofen, ähem, es ist immer wie ein Ofen. Denn nur ganz am Schluss läuft man mal so lange auf der sonnenabgewandten Seite, dass man mal nicht davon schwitzt wie ein Schwein. Sondern sogar noch mehr, "nachschwitzen" heißt das wohl. Ich bin jedenfalls doch irgendwie froh, als es abwärts geht in Eichenwälder, die krüppeligen Bäumchen spenden Schatten und irgendwo da unten sprudelt auch eine Quelle. Dort treffen wir dann unsere Italiener wieder, und nun hat sich mein EM-Groll auch soweit gelegt, dass ich sie anspreche. Und sofort in lautem, unglaublich erfreuten Italienisch einen Schwall italienischer Fußballernamen ernte, die uns gedemütigt hatten. "Deutschland hat gut gespielt, nur nie Tore gemacht"- ja, danke sehr, dacht ich mir. Trotzdem muss ich lachen über den schwarzen Lockenkopf und seinen sehr jungen Rasta-Gefährten, der heute aber irgendwie betröppelt da sitzt und sich sogar sein Shirt über die verfilzten Haare gelegt hat. Die Sonne des Vortags scheint Spuren hinterlassen zu haben...



Weiter geht's durch offene Wiesen, die abwechselnd nach Kräutern duften oder nach Schweinemist stinken. Mir tun die Füße weh und überhaupt sinkt meine Moral gerade. Also schnell Pause, ein paar Scheibchen Salami, während die Jungenhorde Franzosen an uns singend vorbeizieht, und schon ist die Stimmung wieder besser. Noch besser wird sie kurz danach, als wir an der Flusskreuzung ankommen, die Belgier planschen und die Italiener dösen, schnell ein paar Meter weiter, wo der Fluss nicht gleich einsehbar ist, Klamotten aus und rein ins kühle Nass. Die Beine werden leichter, die Körpertemperatur sinkt um gefühlt 20 Grad. Paradiesisch. Mutig nehmen wir mit den Belgiern nach unserer Pause die markierte Abkürzung zur mittleren Bergerie Matalza. Hüpfen durch den Fluss von Stein zu Stein, schleichen Abhänge hinauf und stehen dann endlich im Schatten der Hütte, bestellen eiskalte Cola und Orangina und schauen den Belgiern zu, wie sie Steaks und Kartoffeln in sich hineinstopfen.

Wir wollen später oben in der Bergerie Croce essen und gehen weiter, eine knappe Stunde lang, fragen uns schon, ob wir noch richtig sind, doch dann sehen wir sie: die Hütte, die Pferde. Begrüßen die unglaublich netten Wirtsleute, schnuppern schon bald den Grill, duschen warm, waschen das Salz aus den Shirts - ein hart erstandenes Unterfangen, waren vor mir doch 3 Senioren, die in aller Ruhe drei Waschgänge zelebrierten, sich ums Becken scharten, damit ich ihnen nur nicht zu nahe käme und die mich missmutig beäugten, wie ich unsere paar Sachen neben ihre Wäschekammer auf der Leine drapierte. Nunja. Das Essen - selbstgemachter Schinken & Salami, gegrilltes Schweinesteak auf grünen Bohnen, Obstsalat und feinster Käse mit Clementinenmarmelade - entschädigte für solch komische Zeitgenossen, die glücklicherweise auch einen Tisch weiter saßen. Unser Tisch bestand aus älteren Wanderern aus Toulouse, die mir hartnäckig ihren Wein andrehen wollten. Ich zeigte verneinend auf meinen Bauch. Ach, das Problem kenne er, meinte der freundliche Herr mit der Flasche. Nee, glaub ich nicht, antwortete ich. Er schielt über seine Brille, streicht sich über die kleine Wampe und meint dann, "aber beim Wandern nimmt man doch ab!" Ich ringe hilflos nach einer wichtigen Vokabel, schließlich rettete ich mich mit dem Wort "bebé" über die Runden, er klimperte mit den Augen und --- Ah, oui!!!!! Der ganze Tisch wird laut und erfreut und keiner bietet mir mehr Wein an. Dafür aber natürlich noch eine Schüssel Obst. Und noch eine, bis alles leer ist :-)


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen