Viel zu spät begreifen viele die versäumten Lebensziele: Freude, Schönheit der Natur, Gesundheit, Reisen und Kultur. Darum, Mensch, sei zeitig weise! Höchste Zeit ist's: Reise, reise! - Wilhelm Busch

Donnerstag, 26. Juli 2012

GR20 Süd, 1. Etappe: Vizzavona - Refuge Capannelle

Die Wasservorräte sind aufgefüllt, das Frühstück eingekauft, nun muss nur noch der Bus kommen. Tut er, hatte man uns in der Touristeninformation tags zuvor versichert. Tut er nicht, meinten Bahnhofsmitarbeiter noch einen Tag früher. Und die behielten Recht. Wir warteten eine Dreiviertelstunde an der Brasserie, wo unsichtbarerweise auch die Bushaltestelle ist, schwitzten schon wieder selbst im Schatten und nichts passierte. Also Rucksäcke schultern und zurück, Richtung Bahnhof. Und in Kauf nehmen, erst mittags in Vizzavona, unserem Ausgangspunkt, loszugehen. Und zuvor natürlich Bahn fahren. Und die war rappelvoll, wir ergatterten noch einen kleinen Sitz, die Klimaanlage kam nicht an gegen all die schwitzenden Massen und die kräftige Sonne. Als wir in Vizzavona ausstiegen, kam ich mir vor wie schon 2 Stunden auf Wanderschaft.

Zuerst war da eine Teerstraße, dann ein Forstweg und schließlich ein Pfad steil hinauf durch den Kiefernwald. Immer mal wieder lichteten sich die Bäume und der prunkende Monte d'Oru ließ sich blicken, hüllte sich erst später am Nachmittag in Wolken, als wir ihm schon länger den Rücken gekehrt hatten. Gemächlich wie ein Maultier stapfte ich bergan, war begeistert von meiner Trinkblase, nippte immer mal wieder und blieb somit konstant auf Wohlfühltemperatur. Selbst dann, als hinter mir dieses unheilvolle kick-kick-kick fremder Trekkingstöcke immer näher kam. Ich hatte mich von Anfang an vom "an-mir-hirschelt-keiner-vorbei" der Alpenüberquerung des vergangenen Jahres verabschiedet und nahm es denn auch hin, als mich eine Familie von Rennfranzosen, die zuvor mit uns in der Bahn war, überholte, überrannte, was auch immer. Da staunte sogar Haimon, prophezeite aber schnell "Die kommen nicht weit". Nunja, vorerst zumindest entschwanden sie uns so rasch aus dem Blickfeld, wie sie sich genähert hatten.

Monte d'Oru (2.389m)
Allmählich lichtete sich der Wald, ging über in eine steinige Busch- und Wiesenlandschaft, vereinzelt grasten Rinder an den Hängen. Eine Quelle sprudelte im Erlenbuschgestrüpp, und ein bisschen weiter oben war er auch schon, der erste Pass im Süden, die Bocca Palmentu. Wind kühlte unsere schweißnassen Gesichter. Hier oben konnte man auch übernachten, zur Not, kreisrund aufgeschichtete Steine markieren den Biwakplatz. Wir aber stiegen hinab zur Bergerie d'Alzetta, an der eine Horde Franzosen lagerte, alle asketisch dünn, als würden sie sich nur vom klaren Quellwasser ernähren, was noch so reichlich floss, dass der Weg leicht sumpfig wurde. Wir pausierten. Eine Kuh brüllte irgendwo im Gebüsch, wobei es sich teilweise auch anhörte wie ein leidender Kater. Dann war Ruhe und auch die Franzosen urplötzlich weg. 


Bergerie d'Alzetta

Auch für uns ging es weiter, ohne große Höhenunterschiede, erst durch einen hellen Buchenwald, wie verwunschen waren diese knorrigen alten Bäume, deren Wurzeln sich in den steinigen Hang krallten. Hier und da stehen tote Bäume, Kiefern, deren Gerippe weit in den blauen Himmel ragen, oder deren verkohlte Stümpfe mahnend am Wegesrand stehen und an die jährlichen Waldbrände erinnern. 





Laut unserem Rother-Wanderführer hätten wir schon längst an der nächsten Hirtenhütte ankommen müssen. Laut der IGN-Karte waren wir aber im Plan. Fazit: Irgendwas stimmt nicht mit dem Wanderführer. Was wir hier noch achselzuckend hinnahmen, ließ mich wenig später lautstark fluchen. Wir kamen irgendwann an der Bergerie vorbei. Und sahen recht überrascht unsere Rennfranzosen dort wieder, wie sie im Schatten hingen und gar nicht mehr so motiviert drein blickten. Wir zuckelten weiter, und standen plötzlich vor einem steilen Hang, der Pfad schlängelte sich in Serpentinen unerbittlich bergauf, ein Ende war nicht abzusehen. Das war so nicht ausgemacht, das schreibt der Rother nicht!, dachte und meckerte ich. Wohl oder übel musste ich das Meckern ganz schnell einstellen, wollte ich nicht völlig aus der Puste oben ankommen. Es war ein harter letzter Anstieg, endlich erreichten wir die Teerstraße, von der aus es recht schnell zum Refuge gehen sollte, unserem Tagesziel. Der kleine Franzose, vielleicht 12, stürmte wieder an uns vorbei, nur um sich 10 Meter weiter vorn japsend auf einen Fels zu setzen. Zweimal ging dieses Spiel so, dann blieb er hinter uns.

Das Refuge war voll. Es wimmelte vor Wanderern, viele Zelte standen bereits, wir schlugen unseres auf einer weichen Wiese auf, wieder nahe am Fluss. Und als wir nach einer Dusche aus dem Gardena-Gartenschlauch in der Holzhütte so auf die Terrasse des Refuge zusteuerten, trauten wir unseren Augen kaum. Da saßen wieder unsere drei Deutschen. Sie hatten auf dem ersten Pass übernachtet. Bei korsischer Suppe, Wildschweingulasch auf Polentaschnitten und zum Schluss Kastanienkuchen, serviert von einer hübschen durchtrainierten Kellnerin, tauschten wir erste Wandererfahrungen aus - und fragten uns, ob wir wohl das Fußballspiel zu sehen bekämen, Deutschland gegen Italien. Doch der Fernseher blieb aus, wir trollten uns ins Zelt und mussten zweimal von irgendeinem Italiener, der ein Radio dabeihatte, "Goooooool!"-Rufe ertragen. Wenig später bestätigte die Gegentore dann eine Freundin aus Deutschland per sms. Trotz Trauer über die EM-Pleite - das Flussrauschen und die Strapazen des ersten Wandertages ließen mich schnell einschlafen...

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