Viel zu spät begreifen viele die versäumten Lebensziele: Freude, Schönheit der Natur, Gesundheit, Reisen und Kultur. Darum, Mensch, sei zeitig weise! Höchste Zeit ist's: Reise, reise! - Wilhelm Busch

Montag, 30. Juli 2012

GR20 Süd, 3. Etappe: Refuge Prati - Refuge Usciolu

Um 6 Uhr morgens pfeift der Wind ums Zelt. Schon die Nacht über hat er hin und wieder recht kräftig an den Planen gezogen. Draußen ist es noch so frisch, dass wir uns unsere Daunenjacken anziehen. Es gibt Kekse und Kaffee zum Frühstück, während sich ein paar Jungbullen um die Zelte jagen. Zum Glück haben sie schon mehr Platz als am Abend, denn einige Wanderer sind schon auf dem Bergpfad zu sehen, der sich sanft den Hügel hinaufwindet und zwischen den Felsen schließlich verschwindet. Der Refuge-Wirt sattelt schon sein Maultier und sein Pony, Zeit aufzubrechen für die Einkäufe. Ein Auto hätte auf den steilen, engen Wegen hier oben keine Chance.


Felsen wie diese regen immer wieder unsere Fantasie an - sieht doch aus wie ein Bernhardiner, oder?


Auch wir schultern wieder unsere Rucksäcke, mittlerweile sind wir an das Gewicht gewohnt und fangen eher ohne Rucksack an zu schwanken, weil es so ungewohnt ist, nichts am Rücken ausgleichen zu müssen. Das neugewonnene Vertrauen in unsere Tragfähigkeiten wird nach einer halben Stunde Wanderung das erste Mal richtig auf die Probe gestellt. Wir müssen kraxeln, die Wanderstöcke sind teils eher Ballast, nehmen eine Hand in Anspruch, während die andere am Fels entlang tastet, der Fuß Halt sucht, die Abhänge größer werden. Doch es macht Spaß, sich hinaufzuziehen, durchzuzwängen, hinabzustützen. Oben angekommen am Grat haben wir eine schöne Aussicht in die Täler. Mich fesselt aber etwas anderes. Für eine Sekunde kann ich gar nicht sagen, was es ist, was da auf einmal einen Meter hinter Haimon steht und mich keck ansieht aus seinem pelzigen Gesicht, das immer ein bisschen so aussieht, als würde es leicht hämisch grinsen, weil es Nachbars Huhn unbemerkt gerupft hat. Der Fuchs bleibt auch noch ungerührt stehen, als ich Haimon sage, er solle sich jetzt bloß nicht schnell umdrehen. Hat er natürlich trotzdem gemacht. Das war dem Fuchs dann doch zu viel und er trollte sich - an Haimon vorbei, husch husch, den Fels hinab und weg war er.

Die Kraxelei ging noch eine Weile weiter, mittlerweile war es wieder gewohnt heiß. Wir kamen an Ziegen vorbei, die ihren Kopf in den spärlichen Schatten eines Felsens hielten und uns anstarrten, wie wir für ihre Verhältnisse wohl recht unbeholfen den Abstieg begannen. Hinter uns folgte der ältere von 2 Italienern, der Jüngere mit seinem Rasta-Kopf war vorausgeeilt und wurde vom Älteren mit ein paar Pfiffen erstmal wieder angehalten. Mich stoppte wenig später ein Nasenbluten. Also Pause machen, Wasservorrat kontrollieren, Keks essen. Nach einer knappen Stunde standen wir dann auf dem Col de Laparo, der oft im Nebel liegen soll und auf dem es wohl auch mal windig ist, wie die schiefen Bäume mutmaßen ließen. Hm, am heutigen Tag war vom einen wie vom anderen nichts zu sehen und zu spüren. Der Schweiß rann also weiter ungehemmt das Gesicht und den Rücken hinab. Da kam die angekündigte Quelle in der Nähe an einer privaten Hütte gerade recht. Recht warmes Wasser aus einem Schlauch über einem Spülbecken. Nunja, in der Not frisst der Teufel Fliegen und wir trinken dieses Wasser, benetzten Hut und Kopftuch damit, rasten mit Gummibärchen im Schatten und fühlen uns wenig später deutlich fitter als die Belgierin, die erst viel später als ihr Mann und Kind schnaufend und krebsrot eintrifft. Also weiter, überlassen wir ihnen halt die Holzbänke und gehen vor, hinauf in den Buchenwald.





Es wird einer der härtesten Abschnitte der gesamten Tour. Immer wieder pralle Sonne, die Wolken unter uns kommen einfach nicht voran, wollen im Gegensatz zu uns nicht höher steigen. Nach einer Weile bemerken wir Menschen hinter uns, aber es ist weder das mürrische kanadische Pärchen, das oft eine knallharte Geschwindigkeit mit anschließend völlig erledigten Pausen verbindet, noch die belgische Familie. Es sind zwei ältere, wunderbar sympatisch-humorvolle Briten, dürr und sonnengegerbt, Er obenohne und mit zwei Rucksäcken - offenbar kann seine Frau nicht mehr. Er schleppt und schleppt, zieht sogar mit einem Lachen noch an uns vorbei, würde er anhalten, würde er zusammenbrechen, meint er, aha. Irgendwo weiter oben setzt er das Gepäck ab und kommt in einem atemberaubenden Tempo behende wieder herab, um seiner Frau Wasser und moralischen Beistand zu bringen. Respekt.

Wir wähnen uns auch schon oben auf dem Pass, als wir die Rucksäcke stehen sehen, ich freue mich auf den Müsliriegel, der in Pausen dran ist. Im nächsten Moment zerplatzt diese Vorstellung oder geht im Schweiß unter, der mir in die Augen tropft, als Haimon ruft, nein, hinter dem Felsen, wo die Rucksäcke stehen, ginge es noch weiter. Und wie. Weiter hoch, scheinbar schattenlos. Erst nach einer guten Dreiviertelstunde sind die Felsen am Wegesrand so hoch, dass sie wenigstens etwas Schatten bieten. Wir sinken an den Stein, verschmieren die Schokolade des Müsliriegels quer durchs Gesicht beim Versuch, das gute Stück ohne Anzufassen aus der Verpackung zu bekommen. Immerhin stärkt es uns, weiterzugehen und endlich, endlich dann das Refuge zu erblicken, unten am Hang, viele blaue Mietzelte stehen da, Pferde sind zu hören, Menschen wuseln wie Ameisen hin und her. Wir ergattern noch einen schönen Platz für unser Zelt, in der Nähe lassen sich junge, gut aussehende Franzosen nieder - schöne Aussichten im doppelten Sinne sozusagen ;-)



Im kleinen, aber feinen Lebensmitteldepots des Refuges gibt es alles - teuer, aber was macht das schon, endlich wieder so etwas wie Nutella, frische Orangen und Melonen. Der nächste Luxus - relativ warmes Wasser in der Dusche, dafür stelle ich mich auch gern an und nehme hin, dass sich mein Vordermann derart pellt, dass die Haut in Fetzen herabhängt. Ich darf nur nicht dran denken, dass das Zeug dann auch in der Dusche aufm Boden....äh, ja... direkt danach holen wir uns auch unsere Portion Nudeln mit Möhren und Pilzen ab. Die kleine Belgierin sitzt allein da und isst - wir sind etwas besorgt, fragen nach. Die Mutter hat wohl schlapp gemacht und der Vater sucht sie grad. Zum Glück tapert sie wenig später den Hang hinab. Puh. Gegen halb zehn liegen wir wieder in den Federn. Ich muss irgendwann nochmal raus und endlich, endlich, endlich höre ich sie: Meine Zwergohreule, weit unten im Tal. Ihr Ruf hatte mir vor 2 Jahren auf Koriska erst den Schlaf geraubt und später geschenkt. Glücklich liege ich wieder im Schlafsack. Jetzt bin ich wirklich auf Korsika :-)

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