Viel zu spät begreifen viele die versäumten Lebensziele: Freude, Schönheit der Natur, Gesundheit, Reisen und Kultur. Darum, Mensch, sei zeitig weise! Höchste Zeit ist's: Reise, reise! - Wilhelm Busch

Sonntag, 5. August 2012

GR20 Süd, 5. Etappe: Bergerie Croce - Refuge Asinao

Es weht ein kühler Wind durch's Zelt, vor die Morgensonne schieben sich Wolken. Ich halte die Nase nach draußen. Tropf. Tropf. Och nöö. Regen? Etwas hastig rollen wir Isomatten und Schlafsäcke auf, zack, zack, da liegt auch schon das Zelt am Boden, zack, zack, ist es auch schon eingepackt. Und der Regen? Hat sich nach ein paar Tropfen wieder verzogen, geblieben ist der Wind, der feuchte Meeresluft heraufträgt. Nach 38 Grad am Vortag ist es am heutigen Morgen noch dazu recht angenehm. Wir setzen uns unter den Zeltpavillon, bestreichen unsere Baguettescheibchen mit bittersüßer Clementinenmarmelade und schauen zu, wie das Pferd des Hüttenbesitzers langsam immer näher kommt. Sobald Herrchen außer Sichtweite ist, steht es fast schon unterm Pavillon, schnappt tatsächlich nach der Salami, dann nach Brot, ist auch fast erfolgreich, da bekommt es erst von mir einen sanften Stubs aufs vorwitzige Maul, dann kommt auch schon der Patron um die Ecke. Das Pferd trollt sich, aber nicht weit weg. Immer wieder schielt der Fuchs nach den Tischen, bevor er sich dann doch für das trockene Gras entscheidet...

Wir ziehen alsbald los, eine kurze Etappe haben wir vor uns, mit einem Highlight: der Besteigung des Monte Incudine. Auf über 1.300m laufen wir los, 2.136m sind das Ziel. Das haben wir immer vor Augen, sanft geht es bergauf, Steine, Sträucher, Gräser am Wegesrand. Wir bekommen ein bisschen Respekt vor uns selbst, als wir zu unserer Linken blicken. Da erheben sich all die Berge, über die wir gekommen sind, der morgendliche Dunst hängt noch an den Hängen. Zu unserer Rechten können wir schon das Meer erahnen, doch zu diesig ist es, als dass wir etwas sehen würden. Hinter uns sind recht bald die Belgier, Vater und Tochter marschieren unbeirrt an uns vorbei, während sich die Mutter an unsere Fersen heftet. Sie schnappt schon wieder nach Luft, doch mit unserem Tempo hält sie bald ganz gut mit. Nur ganz auf den Incudine rauf getraut sie sich nicht. Schade, denn die 20 Minuten mehr, die es kostet, um vom GR20 abzuweichen und auf den Gipfel zu gehen, die hätte sich auch geschafft. So verabschieden wir uns von ihr, sie wartet auf Mann und Kind, wir folgen den beiden.



Oben weht wieder dieser Wind, der an Meer und Berge gleichzeitig erinnert. Und wir sehen es schließlich auch, das Meer, wie es im Nebel der Küste verschwimmt, da unten, irgendwo da hinten, da liegen sie, die Ölsardinen an den Stränden, und noch weiter weg, selbst mit konzentriert zusammengekniffenen Augen heute nicht zu erblicken - Sardinien. Noch unvorstellbar, dass wir da bald sind. Da schauen wir lieber erstmal auf die bizarren Felsen, die sich unweit des Incudine aufbauen, das Bavella-Massiv. Morgen wandern wir da lang. Irgendwie realistischer als an Strände auf Sardinien zu denken... Darauf ein letztes Nutella-Schnittchen. Denn der Abstieg zur schon sichtbaren Asinao-Hütte soll es in sich haben...


Wir kraxeln, treten kleine Steinchen los, rutschen weg, fangen uns sicher ab, hören das Fluchen der kleinen Belgierin, die urplötzlich statt einer Gemse wie bergauf nun einem Hahn auf dem Mist gleicht, wie sie sich den steilen, steinigen Weg herabtastet. Wir kommen alle heil unten im Refuge an, es ist kurz nach Mittag, keiner da bis auf ein paar Wanderer. Der Wirt galt eigentlich als komplett unhöflich, viel hatte ich im Netz gelesen, und nichts bewahrheitete sich: nach einer halben Stunde stand er nämlich plötzlich vor uns. Zerzaustes Haar, Feinrippunterhemd und schief sitzende Boxershorts, kleine, grade aufgewachte Augen - und ein Lächeln. Haben wir ihn also aus seinem Mittagsschlaf geholt. Doch er konnte drüber lächeln. Und tat das auch sonst noch recht oft an diesem Tag :-)

Nach etwas sehr bissfesten, mitgebrachten Fertignudeln, deren Bolognesesoße recht fleischlos war, legten wir uns ebenfalls zum Mittagsschläfchen hin. Die Belgier hetzten indes weiter zum Col de Bavella, mindestens 5 Stunden mehr. Bekloppt. Sie hatten Hoffnung, dort ein Hotelzimmer zu finden, weil ihnen das Schlafen im Zelt zu Dritt auf die Nerven ging. Sie ließen uns 2 Frühstücksriegel da, die sie nicht mehr schleppen wollten. Die Dinger waren aber auch schwer...

Gegen Nachmittag staunten wir nicht schlecht. Der ältere Italiener kam aus der Dusche - eingemummelt in einen roten Fleecebademantel! Das gute Stück hatte er über Stock und Stein jeden Tag mitgeschleppt! da sahen wir ganz schön alt aus mit unserem 40x70 Funktionshandtuch ;-)




Wenig später kam dann der kleine Italiener zu unserem Zelt gehumpelt. Er hatte sich die Fersen ordentlich aufgerieben, eine eiterte auch schon etwas. Ob die "dottora tedesca" nicht etwas dagegen hätte. Ich hatte kurz vorher dem Älteren gesagt, dass wir gut ausgerüstet sind und ich dem Kleinen was geben könne. Also bekam er ordentlich Wundspray drauf und abends eine Heilsalbe. Dafür spendierte der Alte Haimon zum Abendessen ordentlich warmen Rotwein zu unserem ebenfalls mal wieder sehr bissfesten Milchreis aus der Tüte. Wir kochten diesmal selbst an den Gaskochern, die für die Wanderer an den Refuges zur Verfügung stehen. Obwohl es auch im Asinao ein wunderbares Abendessen gegeben hätte. Wir wollten aber nicht mehr so viel schleppen, wussten wir doch von 2 entgegenkommenden Jungs aus Augsburg, dass wir im nächsten und damit schon letzten Refuge auch ein warmes Essen bekommen würden. Doch es lockte uns diesmal auch der Käse. Rohmilch hin oder her. Er sah einfach zu gut aus. Diesmal war Haimon dran mit Bestellen, ich sagte ihm, was er sagen musste. Was auch immer er dann aber ganz selbstbewusst sagte, der Hüttenwirt guckte skeptisch, erhob lehrerhaft den Zeigefinger und formte zur Freude eines jeden Französischlehrers jeden Vokal überdeutlich einzeln..."FROOOO-MAAAAA-SCH". Haimon wähnte sich genau dies gesagt zu haben und murmelte es deutlich schüchterner nach. Und wieder sagte der Hüttenwirt mit einem Grinsen, "non, non, c'est FROOOOO-MAAAAAA-SCH", äh, ja, meinte Haimon, sammelte sich und machte schließlich beim nächsten Versuch beim O das gleiche Fischmaul wie der Wirt und beim A hätte eine Banane quer reingepasst. Der Wirt grinste wieder und schob für 10 Euro endlich den guten Käse über die Theke :-)

Kaum, dass die Sonne hinter den Bergen verschwand, wurde es kalt. Der Wind pfiff in immer kräftigeren Böen über die Holzterrasse der Hütte, Wolken schoben sich hinauf bis zu uns. Immer wieder suchte ich die Hänge des Incudine ab. Unsere drei Deutschen fehlten ja noch. Sie hatten es am Tag davor offensichtlich nicht bis zur letzten Bergerie geschafft. Schweine, Kälber, allerlei Viehzeug kam jetzt den Hang hinab. Und dann doch, ganz weit oben waren drei Gestalten zu erkennen. Und wenig später war klar, wer es war :-)


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