Viel zu spät begreifen viele die versäumten Lebensziele: Freude, Schönheit der Natur, Gesundheit, Reisen und Kultur. Darum, Mensch, sei zeitig weise! Höchste Zeit ist's: Reise, reise! - Wilhelm Busch

Montag, 13. August 2012

GR20 Süd - Nächtliche Ruhestörung

Der letzte Abend in den Bergen bricht an. Wir sitzen noch vorm Zelt, schauen zu den Felsen, die das Abendrot in sanfte Rosatöne taucht, Dunst langsam dahinzieht. Der Hüttenwirt kommt auch noch rum, nett, denke ich, wünscht er uns jetzt eine Gute Nacht? Doch er hat anderes mitzuteilen, sein Ziel ist ein Zelt von 2 deutschen Mädels, ein Stück weiter oben im Gebüsch nahe der schönen Ebene, die ich schon als Lagerplatz auswählen wollte. Sie sollten lieber ihr Zelt verlassen oder ganz verschwinden, denn der Helikopter käme.

Endlich, in den trägen Abend kommt auf einmal Bewegung, Glanz in die Augen, ein Hubschrauber kommt, landet hier, au, wie fein, das denken wir, das denken viele und so stehen wir dann da, gaffen in den Himmel, lauschen gespannt, gaffen, lauschen - und nichts passiert. Also fangen wir an zu spekulieren, warum der Hubschrauber kommt. Wir haben nichts von Verletzten gehört, also scheidet die Variante aus. Viel wahrscheinlicher erscheint es uns, dass der Hubschrauber Vorräte bringt in die mit Autos unzugängliche Hütte. Klaus, unser Deutscher, freut sich schon auf kühles Bier, ich denke an Schokolade - und gaffe weiter. Langsam lastet die Dämmerung schwer über dem Land, gucken wird anstrengend. Es ist kurz vor zehn, es wird richtig dunkel. Na, dann eben nicht, kommt er halt doch nicht, der Hubschrauber. Enttäuscht krabbeln wir zurück ins Zelt, in die Schlafsäcke, sorgen noch für eine halbe Stunde Extra-Aufruhr, weil wir unseren Deutschen auf die Frage, ob wir mal Kinder wollen, mit der Realität antworten und sofort mit tausend Fragen zu Namen, Geburtsweise etc. überhäuft werden. Dann hat auch das ein Ende, Haimon schnarcht schon, ich denke über all die Baby-Geschichten, mit denen ich in den letzten Tagen überhäuft wurde, nach und ärgere mich über die Franzosen draußen, die immer noch rumstehen, Löcher in die Luft gucken und ratschen. Habt Ihr kein Zuhause, denke ich irgendwann, es ist stockduster mittlerweile, die Franzosen ratschen immer noch, Haimon schläft den Schlaf des Gerechten und ich dämmere endlich auch leicht weg - bis ich es höre. Ein leises, weit entferntes Brummen. Der Helikopter!

Ich schnelle hoch, rüttle Haimon gnadenlos wach, "der Heli, der Heli, er kommt doch", reiße das Zelt auf, während Haimon die Augen zukneift, geblendet vom Licht meiner Stirnlampe, mit der ich aufgeregt rumfuchtle, während ich schon halb aus dem Zelt hänge, um einen Blick auf das kleine blinkende Etwas am Nachthimmel zu erhaschen, das erst in großer Höhe über uns hinwegfliegt. Haimon brummt enttäuscht. Die Franzosen gestikulieren mittlerweile ganz aufgeregt, werden zu einem wahren Hühnerhaufen, als der Heli doch dreht und sich schnell absenkt, Kurs nimmt auf die kleine Ebene vor unserem Zelt. Und da erst dämmert es uns wirklich. Das Ding wird vor unserer Nase landen! Wir schauen uns an, doch die freudige Aufregung überwiegt, geil, ein Heli! Die Franzosen wedeln inzwischen aufgeregt mit ihren Stirnlampen und bilden einen Landekreis. Fünf Meter vor unserem Zelt. Dann plötzlich ist ihr Licht unscheinbar. Der Helikopter hat seinen Scheinwerfer gedreht, der Kegel gleißenden Lichts fährt über den Boden, es wird lauter und unser Zelt unglaublich hell. Das Licht bleibt, bewegt sich nicht mehr, nur das Schrabb-schrabb-schrabb des Hubschraubers wird immer lauter. Scheiße, er zeigt mit dem Licht auf unser Zelt. Wieder gucken wir uns an, die Begeisterung in meinen Augen ist gewichen. Ein, zwei Schrecksekunden, ewig lang. Unser Zelt ist schwarz, scheiße, wenn er uns nicht recht sieht, denke ich, spreche ich aus, Haimon versucht gegen diese Sorgen zu brüllen, etwas anderes würde ich auch nicht mehr verstehen, ach, so ein Mist, wir sollten vielleicht das Zelt zumachen, bei dem Wind, der alles aufwirbelt, ich nestle mit einer Hand am Reißverschluss, die andere umkrallt sinnloserweise noch die Lampe, ich reiße den Reißverschluss hoch, fast ist es geschafft, doch dann klemmt er. Lässt einen 20 Zentimeter großen Spalt offen, ich rüttle, brülle ihn an, zwecklos, hilflos kniee ich davor, fange mit Kopf und Schulter allen Mist ab, der da in unsere Richtung gewht wird.

Haimon hat sich schon hinter mich verkrochen, lehnt gegen das Zelt, was sich donnernd gegen den Wind des Helis wehrt, der seinen Lichtkegel nun leicht verschoben hat, kurz überm Boden vor uns schwebt. Ich versuche das Zelt oben zuzuhalten, kriege aber weiter die volle Ladung Sand, Staub, Dreck ins Gesicht - in die Augen, die Nase, zwischen die Zähne. Lehne auch gegen die Zeltwand, die erstaunlich robust hält gegen den orkanartigen Sturm draußen. Dann sehe ich, dass der Reißverschluss des Eingangs auch unten leicht offen ist, also drückt es auch von dort allen Staub zu uns rein. Ich komme mir vor wie in einem Sandkasten, in dem ein Dreijähriger Amok läuft, mit beiden Händen wühlt und wühlt und Sand verteilt.

Immerhin ein Gutes hat der Spalt - wir können alles sehen, trotz Sandkörnern in den Augen, trotz Scheinwerfern. Ein Rettungshubschrauber steht da vor uns, Sanitäter laufen raus, kommen wieder zurück, hinter ihnen ein Mann, ob es nun der Verletzte war (es kursieren Gerüchte, einer hätte sich den Arm gebrochen...vielleicht ein singender Baske, den der Wein von der Terrasse befördert hat?!) oder eine Begleitung eines wirklich Schwerverletzten, wir werden es nie erfahren. Durchatmen, durchhusten, was auch immer möglich ist in der kurzen Zeit, in der die Rotorblätter nur langsam durch die Luft schneiden. Alsbald heult der Motor wieder auf. Der Heli muss aufsteigen, ich wieder das Zelt zuhalten. Ich drehe mich zu Haimon um. Was, wenn der Heli im Aufstieg die hohen Bäume neben ihm rammt, frage ich rhetorisch. "Dann war's das", kommt trocken zurück. Für uns und den Heli, piepse ich, bevor ich lieber wieder die Klappe halte, um nicht erneut allen Sand zwischen die Zähne zu bekommen, als der Heli abhebt, langsam, geradlinig, dann immer schneller. Und plötzlich ist es wieder still. Ganz still, bis auf das Fiepen im Ohr. Und dem Husten, Niesen, Räuspern, Ausspucken, Isomatten-Schlafsack-Ausschütteln von uns Zweien, die sich ein paar Stunden zuvor noch auf dem Landeplatz des Helis häuslich einrichten wollten... die Mädels weiter oben haben's übrigens auch überstanden. Achso, und die Eule, sie war Zeuge. Als sei nichts geschehen, rief sie des Nachts und scheuchte den letzten Schreck aus meinen Gliedern. Und ließ mich endlich auch einschlafen.

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