Viel zu spät begreifen viele die versäumten Lebensziele: Freude, Schönheit der Natur, Gesundheit, Reisen und Kultur. Darum, Mensch, sei zeitig weise! Höchste Zeit ist's: Reise, reise! - Wilhelm Busch

Donnerstag, 25. August 2011

6. Tag Verpeilhütte - Kaunergrathütte

Aperes Madatschjoch. So langsam gefallen mir diese Namen, die ganzen Jöcher. Das nächste sollte das herausforderndste werden. An Gletschern vorbei auf 3.030 Meter Höhe. Der Morgen sieht erstmal gar nicht so schwierig aus. Sondern wunderschön. Die Sonne lacht am blauen Himmel, tief unten im Tal schlummern noch dicke Wolken, während wir (in Bergschuhen - es funktioniert schon wieder ganz gut für ein paar Stündchen) über Stock und Stein den Berg hinauftänzeln, "Muuuuuh!" rufen und noch gar nicht glauben können, dass irgendwas komplizierter werden könnte als die großen Steine, die bald im Weg liegen und das regelmäßige Hackgeräusch der Trekkingstöcke etwas unterbrechen. Es macht eher Spaß, die Abwechslung, auch mal kurz die Stöcke in eine Hand zu nehmen, um sich mit der anderen an großen Felsen abzustützen.


Madatschtürme im Blick

Am kleinen Gletschersee treffen wir die Ostfriesen wieder. Der Höhenängstliche sieht blass um die Nase aus, wird aber von allen außer mir weitergehänselt. Ich halte lieber die Klappe, denn der nächste Hang mit seinem kleinteiligen Geröll und der dennoch respektabeln Neigung sieht schon anders aus. Der Gletscher dagegen hat sich weit zurückgezogen, nur noch ab und an ist sein Eis unter unseren Füße zu erkennen, wie es durchschimmert durch den Schutt, der jeden Schritt beschwerlicher und unsicherer macht. Steinschlag ist zu hören, zum Glück auf der anderen Seite des Kessels. Könnte aber auch von uns kommen, denn die Brocken kullern uns unterm Fußboden weg. Überhaupt scheint ab und an der ganze Hang unter mir in Bewegung, nur schnell weiter, denke ich mir und traue auch diesen Hängeleitern aus Stahlseil und Baumstammtritten kaum, schnaufe nach jedem Absatz entlang der gesicherten Stellen, die aber so sicher nicht mehr aussehen, anfangs ist es schwer, den richtigen Weg zu finden, was ist alt, was ist neu, wo ist überhaupt eine Markierung, die ständigen Steinabgänge haben manches zugeschüttet und umgeworfen. Ab der Mitte des Hanges ist es einfacher zu erkennen, viel Auswahl bleibt nicht mehr. Ich ziehe mich teils an den Stahlseilen hinauf, denn der Untergrund gibt viel zu sehr nach und rutscht schon los, wenn der Fuß nur sanft aufsetzt, ein Hochdrücken würde nur noch mehr in Bewegung setzen - bloß nicht mich nach oben. Endlich, endlich kommen wir an. Oben sitzen schon die Ostfriesen, die sich schon mit Gedanken an den Abstieg plagen. Die schiebe ich erstmal weg. Zu schön ist es hier. Ich renne die paar Meter zum Schneefeld rüber und pfeffere Haimon einen Schneeball entgegen. Das Echo lässt nicht lang auf sich warten. Dann heißt es Ausblicke genießen, Knacker essen, Gebetsfahnen aufhängen. Durchatmen.


Oben!

Geteilte Freude ist die schönste Freude!

Remembering Tibet 2010
"Pass auf, der Bügel ist locker! Und der zweite ist verbogen!" Will ich das echt hören, wenn vor mir der Abgrund gähnt, das Stahlseil in meinen Händen zittert (oder meine Hände am Stahlseil?!), der Rucksack an der gegenüberliegenden Felswand schrabbt, weil der Einstieg in den "Kamin" recht eng ist? Nein! Hören wollen oder nicht, es ist nunmal so, einatmen, ausatmen, runter geht's. Die Eisenbügel wackeln tatsächlich, der zweite ist wirklich schief und krumm getreten und der dritte so weit weg, dass ich mich ganz klein und kurzbeinig fühle, als mein Fuß so in der Luft hängt und hilflos herumtastet nach einem Halt, bis ich schließlich noch weiter mich sinken lassen muss und dabei mich strecke, um noch festen Griff an den vorherigen Tritten zu haben. Mir kommt die Häntzschelstiege in der Sächsischen Schweiz wieder in den Sinn. Nur war die komfortabler, der Fels weniger brüchig - den brauchte man da ja auch noch nicht mal anfassen und treten, hier lässt es sich zwischendrin nicht vermeiden. Tatsächlich fühle ich mich sogar sicherer, wenn ich warmen Stein fasse statt kaltes Metall. Unten steht Haimon, grinst und wackelt auch bisschen mit den Knien. Anstrengend war's! Aber trotzdem schön!

Da ging's runter... Dank an Jörg für's Foto!

Suchbild. Wo sind die Wanderer am Fels?
Das Adrenalin trägt mich weiter bis zur Kaunergrathütte, erst dort merke ich wieder die im Vergleich zum 2. kleinen Zeh riesige Blase, die sich drauf gebildet hatte, und die Altbekannten an den Fersen sowieso. Die Pflaster, die mittlerweile die Kompresse abgelöst haben, kleben nach 4 Wanderstunden irgendwo im Socken, nur nicht mehr auf der Haut. Daher vergrätzt mich das Gespräch mit den Ostfriesen und einem anderen Pärchen ziemlich - nein, verdammt nochmal, ich geh nicht noch bis zur nächsten Hütte! Da beruhigt mich nichtmal ein mittägliches Radler, ich lehne auf der Bank an der Hüttenwand und bin einsilbig. Schließlich sind wir doch "voll im Plan!", Gehetze will ich jetzt nicht. Wozu? Die Hütte liegt wunderschön mit Blick auf einen mächtigen Hängegletscher an der Watzespitze (3.533m), das Bier schmeckt, das Essen bestimmt auch, das Lager ist ganz niedlich. Und Siegfried auch schon da. Und ein Hundewelpe. Wir bleiben :-) Schauen einem Kletterkurs am Klettersteig zu. Lassen uns von Mitarbeitern der Aktion "Saubere Alpen" erklären, dass man bis Anfang der 90er Jahre noch Müll unter den Steinen begraben hat und sehen es prompt selbst, wie sie vor allem Bierdosen hervorklauben.

Nach 5 Tagen sehen sie schon besser aus...




Terassenblick


Im Matratzenlager haben wir dann ein besonderes Exemplar von Bergsteiger neben uns liegen. Der Wühler. Eine gefühlte Ewigkeit durchstöbert er seinen Rucksack, wirft meinen zweimal um und leert ihn fast mit aus, wühlt weiter in seinem Hüttenschlafsack. Brabbelt herum, weil wir das dritte, übrige Kissen auf dem freien Bett zwischen uns in Beschlag genommen haben und er es wohl gern gemopst hätte. Und dann schnarcht er. Für alle 10 anderen Mann zusammen. Und wühlt halb sechs morgens wieder. Es lebe die Gemeinschaft am Berg!

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