Viel zu spät begreifen viele die versäumten Lebensziele: Freude, Schönheit der Natur, Gesundheit, Reisen und Kultur. Darum, Mensch, sei zeitig weise! Höchste Zeit ist's: Reise, reise! - Wilhelm Busch

Dienstag, 19. Oktober 2010

Die Tour ins Heiligtum...

Das Taxi rumpelt ueber die Strasse, die Sonne steht schon hoch. Draussen werden aus riesigen Bambusstangen Schaukeln gebaut, Kinder tollen umher. Es ist die Zeit des groessten nepalesischen Festvals, Dashain, 2 Wochen lang dauert es, Kinder haben einen Monat schulfrei, weil kurz davor und danach noch anderes zu feiern ist. Familien kommen in diesen Tagen zusammen, am Ende erhalten Junge von Aelteren die Tikka, ein Mal auf der Stirn, meist rot, aber auch weiss oder schwarz. Wir hingegen werden wandern mit Tika, unserem Guide, dessen Name gleich dem des Males ist, oder gut, eigentlich heisst er Tikaram, aber Tika reicht. Wir schluepfen frohen Mutes aus dem Taxi in Nayapul, begegnen vielen Trekkern, die schweissgebadet wohl nur noch eine Dusche wollen oder aber wie wir den Bergen entgegenhecheln.

Der Trek hinauf ins Annapurna Base Camp ist einer der am meisten begangenen. Weil man eben in kurzer Zeit mitten drin steht in den Bergen und noch dau einen Achttausender direkt vor der Nase hat. Ich zweifle vorher ab und an, ob es das nun wert ist, von franzoesischen Horden fast von deren Trekkingstoecken wechselweise erschlagen oder erstochen zu werden oder von griesgraemigen, schnurstracks drein laufenden Deutschen den Hang hinuntergeschubst zu werden, weil man selbst nicht schnell genug zur Seite springt (obwohl, da waere ja der Hang...). Und ich habe Probleme, die Landschaft um mich herum zu begreifen. Gruen. Saftig. Es duftet nach frisch gemaehter Sommerwiese, Kraeutern aus der Kindheit, Kuhmist und Maultierkacke, der Schweiss rinnt den Ruecken hinunter und klebt auch sonst ueberall, die Zikaden zirpen und kreischen, dass es in den Ohren klingelt, die Baeume stehen dicht an dicht und es tropft von den Blaettern, die Steinwege sind teils noch glitschig. Dann laufen wir wieder durch Reisterassen, ein unwirkliches Gruen nach der kargen Landschaft Tibets.



die Bambusschaukel

Die Menschen hier sind meist etwas rauer, eben an Touristen gewoehnt, die ueber ihre Terassen latschen, vorbeischlurfen an ihren kleinen Berghaeuschen, da wird seltener gelaechelt oder zurueckgegruesst. Wer oft gruesst, obwohl sie die schwerste Arbeit haben, sind die Porter, die Traeger, die entweder 3 Rucksaecke auf einmal zusammengeschnuert auf ihrem Ruecken tragen oder Cola, Kartoffeln und alles andere Noetige hinauf in die Guesthouses der Berge schleppen. Meist sind sehen die Traeger anders aus als die Nepalesen, deren indischer Einschlag unuebersehbar ist. Die Traeger haben oft tibetische Vorfahren, auch wenn es im Annapurnagebiet selten Sherpas sind, die findet man eher um den Everest herum.

In tieferen Gefilden krabbelt aber auch alles, was es in Tibet nicht gibt. So sitzt am ersten Abend eine respekteinfloessende Spinne an unserer Tuer, die zwar des Nachts rausgekrabbelt ist, morgens dann aber just in der Hoehe meiner Haare draussen am Tuerrahmen wartete, wieder eingelassen zu werden und dann via meiner Haarstraehne das auch schaffte. Wenigstens war ich dann wach ;-)



Nachdem der erste Tag recht entspannt begonnen hatte, wurde der 2. zur grossen Herausforderung. Es ging ungelogen tausende Steintreppchen bergauf und -ab. Und Tika war in Redeschwung. Nun lief ich schon immer als letzte von uns dreien, weil ich es nicht ausstehen kann, die Pickel der Trekkingstoecke Marcos schon in meinen Fersen zu spueren. Und mich nicht messen will, wer nun schneller ist. Dennoch bekam ich hinten natuerlich alles mit, was die Herren besprachen. Es war meist recht interessant, weil Tika wirklich viel ueber Flora und Fauna wusste, aber beim 10. Bluemchen war bei mir Schluss mit der Geduld, nein, ich bin nunmal nicht der Biologe hier, ich moechte weitergehen! Nur an manchen Straeuchern, die bei uns nur versteckt mit viel Licht und Liebe im Keller gedeihen, da bin ich natuerlich stehen geblieben ;-)

Und stehen geblieben sind wir auch, als wir die Berge das erste Mal sahen, wie sie herausragten aus den Wolken. Solche Anblicke hievten mich auch die 3000. Stufe nach oben. Und die Aussicht auf ein Snickers in der naechsten Huette, nachdem die Aussicht auf eine warme Dusche nach dem 1. Tag gestrichen wurde. Einmal muss reichen, ab jetzt gibbet nur noch kaltes Wasser. Auch von oben. Zumindest aus den Wolken, abends, dazu ein frischer Wind. Und - die ersten Wehwehchen stellen sich ein. Ein Dal Bhat muss wohl nicht mehr ganz so gut gewesen sein. Jedenfalls spurtet Marco selbst nach 9 Stunden Wandern abends mehrmals sehr schnell los, Ziel lag hinter der kleinen Holztuer an der Terrasse. Danach gibt es regelmaessig Berichte, was so im Inneren bei ihm vorgeht. Bis ich nichts mehr davon hoeren will, weil ich ploetzlich selbst im Schlafsack sitze und nur denke, Mist, wo sind die Schuhe, bevor ich selbst in Hoechstgeschwindigkeit ueber die Terasse fege, hin zur Holztuer. Nach dreimal isses gut und ich kann schlafen, Tibeterfahrungen und Perenterol helfen mir da, waehrend Marco noch etwas unsicher morgens an den Kohletabletten nestelt.


ein erster Blick auf den Hiunchuli (6441m), links daneben baut sich die Annapurna Sued auf

ab durch den Urwald

der Machapuchare im letzten Abendlicht...

...und mit den ersten Sonnenstrahlen


ein paar der tausende von Treppen 

Schliesslich ist der grosse Tag da. Am 4. Tag geht es hinauf ins Base Camp. Da moechte man doch unterwegs nicht unnoetig stoppen muessen, ausser zum Luftholen, denn der Sauerstoff wird knapper. Ich merke davon nicht viel, die Akklimatisierung haelt noch. Die Affen in den Baeumen und auf den Felsen tollen dennoch herum, als waers nix. Vielleicht freuen sie sich auch darueber, wie ich mit zittrigen Knien todesmutig ueber eine klapprige Bruecke hetze, hinter mir ein Ast in den Fluss verschwindet und Marco auch noch drueber muss. Das Rauschen der Wasserfaelle, die die steilen Felsen hinabstuerzen, haetten jeden Hilfeschrei erstickt. Oder er waere als Jubel missinterpretiert worden, denn so ein Schrei steckte mir fast in der Kehle, als sich immer deutlicher die Berge vor uns abzeichnen.





rechts die grosse Annapurna I, links die kleinere Annapurna Sued

der Machapuchare

Annapurna III

Annapurna I

Die Landschaft hat jetzt gewechselt, ist rauer, keine Baeume mehr, nur noch Straeucher, Graeser, Felsen. Noch schnell einen Tee im Machapuchare Base Camp. Der Machapuchare ist ein wunderschoener Berg, aehnlich dem Matterhorn, doch etwas anders, seine Spitze aehnelt einem Fischschwanz, leicht gegabelt, daher auch sein Name auf Englisch, Fishtail. Er ist heilig, darf nicht bestiegen werden/ Er liegt in unserem Ruecken, waehrend sich vor uns die Annapurna Sued aufbaut. Und dann, endlich, rechts vor uns die 8091m hohe Annapurna I, einer der gefaehrlichsten Achttausender, man sagt, 40 Prozent der Bergsteiger, die sie erklettern wollten, haben es nicht mehr lebend hinab geschafft... Doch schoen ist sie allemal... nach insgesamt 4 Stunden Wanderung stehen wir im Heiligtum der Annapurna, dem Sanctuary, im Base Camp, umringt von diesen Bergen, hoeren Lawinen abgehen, Steinschlaege, Eisabbrueche. Stille, Rabengekraechzt, Bewunderungen der anderen Trekker fuer diese grandiose Inszenierung der Natur. Unter uns, weit unter uns, die graue Moraene des Gletschers, der sich immer weiter schiebt, es knackt hoerbar ab und an. Nach und nach schieben sich Wolken vor die Berge, verhuellen sie erst leicht, dann ganz, ploetzlich wird es kuehl, Nebel zieht herauf, binnen Minuten ist die Sicht von kilometerweit auf ein paar Meter geschrumpft, die Temperatur von angenehm warm auf unangenehm frisch gesunken.


vor der Annapurna Sued

meine Kathedrale...

die Drei vorm Achttausender

eine Gebetsfahne fuer meine tibetischen Freunde

eine Erinnerung an einen der besten Bergsteiger seiner Zeit...umgekommen in einer Lawine an der Annapurna

Sport!!!

Wir waermen uns mit Tee und - mit Volleyball. Nachdem die Guesthouse-Angestellten stundenlang gespielt hatten, immer mit einem Lachen, sind wir dran, schnappen uns den Ball, ein paar Spanier, Hollaender machen mit. Und es klappt, wenn auch mit einigen Japsern seitens Marco, wir sind stolz, nach einer guten Stunden verschwitzt, aber gluecklich zurueck ins Guesthouse zu schlendern, es ist schnell dunkel geworden. Drinnen gibt es leckere Kartoffeln mit Kaese ueberbacken und eine Philosophiestunde von Tika, der wohl schon einen Local Wein zu viel hatte, als er mit mir darueber diskutiert, dass Maenner so stark und Frauen ja doch die Schwaecheren seien, andererseits aber Muetter werden wuerden. Die anderen Guides und Traeger kichern, klopfen ihm auf die Schulter, ich bin mittlerweile die einzige Frau und ruhig gestellt von meiner heissen Schokolade, so dass auch ich nur lache, ich kann ihm auch schlecht boese sein, wenn er zum 5. mal den Satz neu anfaengt und dann doch abschweift...

Waehrend ich in der Nacht es den Murmeltieren gleichtue und eingemummelt von kurz nach 20 Uhr bis 6 Uhr durchschlafe mit nur einer kurzen Pause, hat es Marco nicht einfach und schnappt kurz vorm Wegnicken immer wieder nach Luft. Das ist der Preis der Hoehe, es geht oben jedem 2. im Camp wohl so, zumindest ist es eine haeufige Klage. Ich bin dankbar, nie diese Atemnot gehabt zu haben. Morgens verzieht sich der fruehe Regen, doch die Wolken bleiben, reissen hier und da auf, verschleiern aber meist zumindest leicht die Berge ringsum. Auf den Huegeln liegt Schnee, die Nacht war kalt.







Wir verabschieden uns von dieser imposanten Landschaft und steigen ab. Kommen in den naechsten 2 Tagen nachmittags in einen Regen, der dem im Monsun in nichts nachsteht. Gelangen schliesslich an heisse Quellen, baden und muessen mit Schrecken feststellen, dass auch uns die nepalesischen Blutegel nicht verschont haben. Ungefaehrlich sind sie, aber hartnaeckig. Den ersten lasse ich noch unter grossen Gelaechter von einem Nepalesen entfernen. Den 2. rupfe ich Marco vom Fuss, den 3. entferne ich an meinem eigenen kurz vorm Essen, den 4. zieht sich Marco selbst aus der Kniekehle, den 5. schnippt er noch schnell von der Hose.



Blick zurueck...



ein selbst gebautes Riesenrad...

die Kuh hinter der Waesche :-)


All diese Geschichten tauschen wir immer wieder mit den selben Leuten aus, die die gleiche Richtung haben wie wir. Diesmal sehr angenehme Reisegefaehrten ;-)  In die Gegenrichtung sind hingegen oft menschen unterwegs, mit denen wir nicht gehen wollten. Maedchen in sehr kurzen Shorts und mit make up, Frauen, die ihren Lockenstab dabei haben, riesige Gruppen Franzosen. Da sind wir froh, nur Tika bei uns zu haben, der mal wieder vom Hoelzchen aufs Stoeckchen kommt in seinen Erzaehlungen, aber doch immer ein sehr lieber Kerl ist, der selbst im stroemenden Regen noch laecheln kann oder einfach voran eilt, damit Marcos Daunenschlafsack im Rucksack nicht nass wird, sondern schnell in die trockene Huette kommt. Danke, Tika!

Und so kommen wir wieder in das Gebiet der Reisterassen, der grasenden Bueffel, der billigeren Preise. Oben kostet die Dose Cola schonmal fast 2 Euro, unten 80 Cent. Oben schleppen es Menschen, hier gehen die Maultiere mit ihren Gloeckchen um den Hals all die Stufen und schleppen, zusammen mit den Menschen. Die Luft ist wieder voller Gerueche und Sauerstoff. Unsere Gesichter voller Schweiss, aber auch Glueck. Wir haben es in acht Tagen geschafft. Keine Verletztung, und auch die Verdauung ist wieder intakt. Und am Abend gab es in Pokhara eine Stunde Massage. Tausende Treppenstufen und einige Kilo Gepaeck hatten ja schon etwas gequaelt. Doch das gehoert ja dazu. Und ja, wert war es das alles, aller Touristenherden zum Trotz.

1 Kommentar:

  1. Mensch Sylvia! Das hört sich alles so toll an! Mir fehlen die Worte! Lese mit Spannung deine Berichte und das Fernweh hat mich mal wieder gepackt! Ich wünsche dir weiterhin alles Liebe! Nessa

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