Viel zu spät begreifen viele die versäumten Lebensziele: Freude, Schönheit der Natur, Gesundheit, Reisen und Kultur. Darum, Mensch, sei zeitig weise! Höchste Zeit ist's: Reise, reise! - Wilhelm Busch

Dienstag, 25. November 2014

Einmal Marina Bay Sands, bitte!

Das Marina Bay Sands prägt die Kulisse am Meer

Gut sieben Wochen auf nicht ganz 1,70 Meter Breite und vielleicht drei Metern Länge. Das war wunderbar. Wir würden es jederzeit wieder tun. Doch ganz am Schluss dieser fantastischen Reise wollten wir es dann doch größer haben. Und wenn schon, denn schon: ganz groß, ganz teuer. Wer einmal um die halbe Welt fliegt, sollte doch am Abschluss nicht knausern. Und eines lauen Sommerabends daheim in einem Biergarten meinte ein Freund, er wolle aber ein Bild von uns aus Singapur: Hoch oben im Infinity-Pool des Marina Bay Sands, die Skyline der asiatischen Metropole hinter uns. Und ich dachte, bingo! Wann sonst gibt man mal um die 300 Euro pro Nacht aus? Wir ganz bestimmt nicht so schnell. Mit wenigen Klicks buchte ich eines der rund 3000 Zimmer für unsere letzte Nacht auf Reisen auf festem Boden.

Nun war es also so weit. Wir waren schon mehrmals vorbeispaziert am Hotel, hatten das "Schiff", was man auf die 3 Hoteltürme gebaut hatte, bewundert und uns immer wieder vorgestellt, wie wir da oben planschen. Heute war der große Tag. Leider konnten wir uns nicht mehr von Supryia verabschieden, die hartnäckig in ihrem Zimmer blieb, während wir noch ihren geschniegelten Lover in der Küche überraschten. War ihr wohl peinlich. Schade.

Ich stehe also am Vormittag des 12. Januar in der Schlange im Marina Bay Sands, um uns einzuchecken. Klar, die Halle hier hat eher was von Bahnhof. Viel schlimmer jedoch waren die komischen Angestellten: Kaum Englisch, kaum ein Lächeln. Und dann wird man noch von A nach B geschickt wegen irgendwelcher Formulare und Zuständigkeiten für die einzelnen Tower. Oh man! Schließlich haben wir es dann doch geschafft, unser Gepäck abzugeben. Gegen  frühen Nachmittag dürften wir wiederkommen und unser Zimmer begutachten und natürlich hoch in den Skypark mit Aussichtsdeck und eben dem Pool. Also noch ein paar Stunden Warten. Mist.

Die Eingangshalle

Wir fahren zur Orchard Road, an der ein Einkaufszentrum am anderen steht. Oskar braucht neue Windeln und Obstmus. Vorher aber will er baden. Der kleine Mann hat einfach noch weniger Geduld als wir, um auf den großen Pool zu warten und patscht zur Freude aller ihn umgebenden Einheimischen und Touristen in großen Pfützen herum. Wenig später hieven wir ein triefend nasses, schreiendes Kind in die Shopping Mall, um ihm wieder etwas Trockenes anzuziehen. Schließlich wollen auch wir nun endlich baden gehen und nehmen die Metro zurück ins Hotel.

Dort geht alles flott. Wir bekommen die Schlüsselkarten, der Hotelboy nimmt sich unserer Sachen an und schon stehen wir vor einer Tür im ersten Stock. Ich schließe auf. Und schrecke zurück. Scheiße, sage ich. Haimon, das kann nicht unser Zimmer sein. Das ist ne Bar oder so. Haimon kennt wie immer keine Scheu und schiebt mich zur Seite und tritt ein. Und guckt ebenso verdutzt. Da haben wir doch glatt ein Upgrade in eine Familiensuite bekommen. Mit rund 74 Quadratmetern knapp größer als unsere Wohnung daheim. Zwei Bäder. Eine Bar an der kleinen Küchenzeile. Eine riesige Terrasse. Wir fühlen uns wie Rockstars. Nachdem Oskar alles erkrabbelt und seine Kekse und Spielsachen wirklich überall verstreut hat, sieht es auch so aus...

Vorher...


Nachher


Doch fürs Zimmer bleibt nicht viel Zeit. Wir wollen hoch! Hui. Mit Raketengeschwindigkeit sausen wir nach oben in den 57. Stock. Unsere Karten werden kontrolliert, durch den Scanner geschoben, Oskar getätschelt und dann staunen wir. Was für ein Pool. Und fast leer. Das Wasser ergießt sich ins Nirgendwo, scheint einfach über die Kanten nach unten zu laufen, zerfließt mit dem Horizont und den Wolkenkratzern des Finanzviertels. Eine leichte Brise macht die tropische Hitze angenehm. Oskar zappelt schon ganz ungeduldig beim Anblick von so viel Wasser. Und dann planschen wir nach Herzenslust. Lassen uns natürlich fotografieren und freuen uns ein Loch in den Bauch. Den ganzen Nachmittag lang!






Erstaunlicherweise kennt Oskar kaum Jetlag. Pünktlich gegen 19 Uhr Singapur-Zeit, also in Neuseeland schon weit nach Mitternacht, wird er müde. Wir essen billiges indisches Essen in der Shopping Mall, verfrachten ihn danach ins Bett. Pardon, eigentlich auf den Boden. Der fluffige Teppich neben unserem Bett, überdeckt mit Deckchen und Kissen, erschien uns als die ideale Nachtstatt, da kann er nirgendwo unbeobachtet rauspurzeln. Denn Mama und Papa wollten die Lasershow angucken, die jeden Abend draußen stattfindet. Wo, konnte uns allerdings kein Angestellter so richtig sagen. Wir ahnen es schon: Wir sehen nüscht. Erstens kommen wir zu spät und zweitens findet die Show unten am Wasser statt, von ganz oben sieht man nicht wirklich was. Aber gut, morgen abend sind wir auch noch da, bevor wir dann gegen 21 Uhr zum Flughafen müssen. Also lassen wir uns den Wind um die Nase wehen, trinken ein Bierchen und schauen auf diese Glitzerstadt zu unseren Füßen...



Montag, 24. November 2014

Singapur zum Zweiten

Die Hitze der Stadt ist schon am Morgen spürbar. Und das, obwohl das Fenster unseres Zimmers zum Treppenhof hin zeigt, die Klimaanlage vor sich hin schnurrt. Wir sind einfach Tropenhitze nach dem kühlen neuseeländischen Sommer nicht mehr gewohnt. Nur einem ist es mal wieder egal: Oskar. Der entdeckt grad, dass man wunderbar unters Bett krabbeln kann und draußen ein großer Spiegel steht, an den man herrlich Patschehändchen sehen kann. Supriya, unsere junge Vermieterin, nimmt's gelassen, nein, vielmehr begeistert auf: Sooooooo cuuuuute. Würde Oskar Englisch verstehen - sein Ego würde in Singapur ins Unermessliche steigen. Ist aber auch niedlich, der Kleine...

Dunst überm Hafen - unser Wohnzimmerblick

Direkt unten im Hochhaus ist eine kleine Shoppingmall mit einem Starbucks-ähnlichem Café. Wir ordern unser Frühstück, Oskar langt ordentlich zu. Und krabbelt dann wie immer durch die Gegend. Nur diesmal offenbar mit voller Windel. Wir bekommen das erst mit, als es zu spät ist. Oh man. Schon zum Frühstück action... Auf dem Programm steht heute Sentosa Island. Die kleine, zu einem Freizeitpark umfunktionierte Insel direkt vor Singapur, zu der man mit einer Seilbahn gelangen kann. Oskar findet das Ding fantastisch, fuchtelt die ganze Zeit mit seinen Händen in der Luft herum und macht Motor-Geräusche.



Sentosa Island unter uns



Auch auf der Insel fühlt sich Oskar wohl. Wir dagegen beäugen das Treiben etwas skeptisch. Zwar ist noch nicht viel los, aber es ist einfach alles etwas zu amerikanisch, zu kitschig die großen Betonlöwen, das viele Gold, die vielen Süßigkeiten am Straßenrand, die künstlichen Parks. Wir wollen uns das größte Aquarium der Welt anschauen. Mehr als 800 Arten Meeresgetier soll es beherbergen. Der Abschnitt "Open Ocean" ist dabei der beeindruckendste: 36 Meter lang ist die durchgängige Plexiglasscheibe, 8,30 Meter hoch und 70 Zentimeter dick. Dahinter schweben Mantarochen, Leopardenhaie. Klassische Musik im Hintergrund beschallt die Besucher, die fast in meditative Stimmung verfallen. Sogar Oskar steht ehrfürchtig am Glas und schaut hinaus in eine ihm sonst verborgene Welt.





Allein für dieses stille Spektakel inmitten schriller Ferieninsel-Atmosphäre hat sich der Besuch von Sentosa Island gelohnt, finden wir. Auch wenn wir recht schnell wieder eingeholt werden: Im gläsernen Tunnel durch das Wasser wird man fotografiert, und zeternden Waschweibern gleich zerren Frauen dann am Ende des Tunnels an einem herum, die einem für viel Geld ziemlich künstliche Fotos unter die Nase halten. Schrecklich! Oskar verfällt kurz danach in sein Mittagsschläfchen. Wir winken noch der Engländerin aus dem Flugzeug zu, bevor wir uns wieder raus in die Tropen wagen. Ein bisschen Strand muss sein. Aber wo is der bloß? Vor lauter Bebauung sieht man das Meer nicht mehr...






Wir haben es dann doch noch gefunden. Ein bisschen Sandstrand zwischen Bars und künstlicher Surfwelle in einem Pool. Oskar schleckt erst ein Eis, planscht dann mit Papa und wühlt dann im Sand, als würde er sich bis nach Hause durchgraben wollen. Doch daraus wird nichts, machen wir ihm begreiflich und zeigen auf den Himmel. Drohende Gewitterwolken bauen sich vor uns auf. Wenig später schüttet es derart, dass wir innerhalb von Sekunden durchgeweicht sind. Wir suchen Schutz in einem Kiosk, der so eiskalt klimatisiert ist, dass wir danach völlig durchgefroren sind.






Kurz vor Seilbahn treffen wir auf eine Gruppe reicher Inder. Und so schnell, wie Oskar auf dem Arm eines Inders saß und auch noch dessen Sonnenbrille auf hatte, konnte ich kaum gucken. Krass. Immerhin geben sie uns unseren Sohn artig zurück und sind dann auch so schnell weg, wie sie gekommen sind. Oskar stört's nicht. Na gut, doch, etwas schon. Er wollte die Brille eigentlich behalten :-)

Wir fahren bis zur anderen Endstation der Seilbahn, hier hat man eigentlich eine schöne Sicht von Singapurs höchstem Hügel, doch es regnet immer noch. Und uns knurrt der Magen. Chinatown ist nicht weit von unserer Unterkunft entfernt. Also los. In Chinatown ist alles schon geschmückt fürs Chinesische Neujahrsfest. Zielstrebig steuern wir durch die Straßen - kennen wir ja schon. Und landen just draußen an einerm Restaurant, was wir vor 2 Monaten mal fotografiert hatten. Oskar ist derweil in der Manduca eingeschlafen, während wir der Völlerei frönen und uns jeder ein Bier bestellen. Dass jedem von uns dann gleich eine 650ml-Flasche serviert wird, hätten wir nicht gedacht. Aber im heißen Singapur hat man halt Durst ;-)

Fotografiert im November, besucht im Januar :-)

Kloß im Hals

Ist das seltsam. Wir sitzen vor unseren Rucksäcken. Wir werden schwer bepackt sein. Vor allem im Herzen. Denn wir verlassen Aotearoa, das Land der weißen Wolke, heute mittag. Der einzige, dem alles egal ist, ist Oskar. Wie schön, wenn man grad mal ein Jahr alt ist und sich einfach über das freut, was grade stattfindet und noch nicht dem nachhängt, was stattgefunden hat. Zwei Monate Neuseeland. Zwei Monate auf engstem Raum durch ein weites, wunderschönes Land. Puh. Wir hieven die Rucksäcke ins Auto. Chris, unser Gastgeber, wird uns zum Flughafen fahren. Für lau, das ist nett. Er erzählt uns, wie oft er diese Strecke fährt, wer wohin fliegt, doch die Worte, sie fliegen eher an uns vorbei. Und das Herz, das will erst gar nicht mitfliegen und hängt noch irgendwo.

Alles wäre richtig schwer. Wäre da nicht Oskar. Der seinen Buggy volle Kanne durch den Flughafen schiebt, dass wir mit dem Gepäckwagen Mühe haben, hinterher zu kommen und unsere "Stooooopppp"-Befehle durch die Halle zu brüllen. Schließlich war es nicht weit bis zum Schalter von Singapore Airlines. Und hier komme ich an. Auf dem harten Boden der Realität. Der da heißt: Nicht alle Kiwis sind nett. Die Dame ist nicht nur icht wirklich nett, sie ist auch noch inkompetent oder zumindest arg lustlos, sich darum zu kümmern, dass wir zusammensitzen können. Nee, das müssten die am Gate regeln. Hä? Ich bekomme doch hier die endgültigen Bordkarten? Nee. Das machen die am Gate. Klatsch, landen meine ausgedruckten Bordkarten wieder vor mir auf dem Schalter und die Lady tratscht wieder mit ihrer Nachbarin. Derweil rummst es im Hintergrund, Oskar ist wieder irgendwo dagegen gefahren. Na toll. Etwas ratlos tapern wir in Richtung Gates, Oskar gibt einem vorbeischlendernden Kapitän der Air New Zealand High Five. Da sind sie wieder, die lockeren Kiwis. Hachja.

Wir haben noch einige Dollar übrig und decken uns endlich bei Global Culture mit lustigen T-Shirts ein. Ich hatte schon Angst, gar keinen Laden diese Kultkette mehr zu finden. Glück gehabt. Doch dieses Gefühl hält nicht lange an. Wir stehen an der Sicherheitskontrolle. Und dürfen Oskars Trinkflasche partout nicht mit Inhalt mitnehmen. Ich will es erst nicht glauben, doch ich werde derart von Mann und Frau an der Tür angeherrscht, das kein Zweifel bleibt. Noch nie mussten wir das Essen und Trinken für Oskar ausräumen und teils austrinken. Erst, als die halbe Flasche leer war, hat der dritte Wachmann ein Einsehen und winkt uns doch durch. So langsam bekomme ich meine typische Alles-Scheiße-hier-Wut. Die steigt sogar noch etwas, als mir am Gate wortlos die Papiere aus der Hand gerissen werden, um uns nun endlich Bordkarten zuzuteilen. Boah. Zwei Monate in einem Land mit nur netten Menschen und dann sowas: Am Flughafen Christchurch haben sich die A...löcher der Nation zusammengefunden, oder wat?  Und dann steht uns auch noch ein langer Tagflug bevor...

So viel vorweg: Schlimmer wird's immer. Einziger Vorteil: Der Abschiedsschmerz hatte keine Chance mehr gegen unverschämte Purser im Flugzeug, gleichgültige Stewardessen und Stewards. Der Ärger wäre vielleicht geringer gewesen, wären wir mit Lufthansa oder Air Berlin unterwegs, von denen wir leider schlechten Service gewohnt waren. Aber Singapore Airlines! Ein Purser, dem selbst der ungewohnt leise und superliebe Oskar auf den Nerv ging, einfach, weil er da war. Und wir daher nunmal nicht alle drei zusammen essen konnten, sondern nacheinander das Essen haben wollten. Standard auf dem Hinflug, Zumutung auf dem Rückflug? Eine englische Mutter neben uns, eigentlich superentspannt, wurde auch immer genervter, als der Purser genervt war, dass ihr Sohn und Oskar auf dem Boden vor ihr spielten. Auf dem Boden, nicht im Gang. Keiner musste dran vorbei. Der einzige Lichtblick war eine schöne Frau, die mir schon am Flughafen aufgefallen war. Eine Stewardess außer Dienst. Sie schnappte sich Oskar mehrmals, schleppte ihn durch die Kabine, spielte mit ihm auf dem Boden und wies ihre Kollegen mehrmals in die Schranken, klang zumindest so. Wir waren trotz dieser lieben Frau heilfroh, nach elf Stunden endlich rauszukönnen aus dem Flieger. Sowas brauchen wir nicht nochmal.

Die gute Fee

Singapur hatte uns also wieder. Mit Schrecken stellte ich fest, dass ich noch einen Kaugummi einstecken hatte. Ist verboten hier. Ich hab ihn reingeschmuggelt :-) Oskar krakeelte wie beim ersten Mal fröhlich in der großen Empfangshalle herum, brachte die Grenzer zum Lachen. Selbst in der vollgestopften Metro lächelten die schweißgebadeten Menschen uns an und schäkerten mit Oskar herum. Und auch, als wir völlig verloren an der Metro-Station standen, weil wir unser Quartier nicht fanden, waren sie sofort zur Stelle: Nette, hilfsbereite Menschen. Auch jetzt hatte also der Abschiedsschmerz keine Chance mehr.

Großstadtflair statt Camperfeeling

Unsere Unterkunft fanden wir dann doch noch. Wir hatten eigentlich die ganze Zeit vor dem Hochhaus gestanden, nur den richtigen Eingang nicht gefunden. Oben im 22. Stock sahen wir über den Containerhafen, glitzerten uns tausende Lichter entgegen. Zwei Tage hatten wir uns bei Supriya, unserer netten, indisch-stämmigen Vermieterin, einquartiert. Die letzte Nacht sollte dann dem Luxus gewidmet sein. Das Marina Bay Sands. Doch erstmal machten wir es uns bequem. Oskar war schon beim Umziehen eingeschlafen. Und wir folgten ihm recht schnell auch...

Platt

Dienstag, 18. November 2014

Abschied Teil III



Wir sind auf das Schlimmste gefasst. Auf Brachflächen mit Trümmern. Verschüttete Straßen. Auf einen Kriegsschauplatz. Auf etwas, das uns betroffen umhaut. So wurde uns das Zentrum von Christchurch angekündigt. Im Winter 2011 wurde die Stadt hart getroffen von einem Erdbeben der Stärke 6,3. Und trotz vieler Aufbau-Bemühungen muss es auch drei Jahre danach noch recht wüst aussehen. Und dann stehen wir da, mitten im Zentrum. Und staunen. Über den Humor der Kiwis. Direkt neben der immer noch zerstörten Kathedrale preisen Schilder Stadtrundfahrten in die "Red Zone", die rote Zone an, die, die es am schlimmsten getroffen hat damals. Da werden in 3,5 Stunden "die aufregendsten Erdbeben-Sehenswürdigkeiten" abgeklappert. Wir kichern unwillkürlich. The show must go on... Und sonst? Ja, die Kathedrale und das angeschlagene Rathaus und all die anderen historischen Häuser, die das Beben beschädigt hat, all das wirkt erschreckend. Vor allem, weil es jederzeit wieder passieren kann. Doch Christchurch ist daran nicht zugrunde gegangen.










Das Leben geht weiter. Da ziehen die Geschäfte eben in Container, bunt wie eine Kunststadt, fröhlich wie ein Festival. Fast schon amerikanischer Optimismus springt einem entgegen. Zahlreiche Straßenkünstler machen das künstliche Containerviertel zu ihrer Bühne, auch wir schauen zu, essen herzhafte Burger, flanieren weiter zu einem Kanal, auf dem sich chinesische Touristen wie im Spreewald hin- und herschippern lassen. Und dieser schöne Park! Juchzenz schiebt Oskar seinen Buggy die Wege entlang, wackelt an Papas Hand über die Wiese, krabbelt in einen Bootsschuppen, nascht ein großes Eis.

Kleiner Mann vor großen Wahrheiten





Kriegsgefühle? Nein. Klar, die Wunden der Stadt sind groß. Und ob alle geheilt werden, unsicher. Doch die Garden City trägt ihren Namen zu Recht, immer noch. Die Parkanlagen sind toll. Und auch so - Christchurch ist wunderbar entspannt, finden wir. Meilenweit entfernt von Aucklander Hektik und Verkehrsgetümmel, obwohl sie die zweitgrößte Stadt des Landes ist. Wir wandern an Kricket- und Rugbyfeldern vorbei wieder raus aus dem Zentrum, erhaschen unseren Bus, der Fahrer guckt und fragt besorgt, ob wir denn wirklich wüssten, wo wir aussteigen müssen, er würde es uns sonst ansagen. Wo findet man denn in einer deutschen Großstadt solche Nettigkeit? Da wird uns glatt wieder das Herz schwer. Daheim in der Gastwohnung stehen schon unsere Rucksäcke, fast fertig gepackt für den großen Flug am nächsten Mittag, für die erste Etappe zurück nach Hause. Immerhin, wir trösten uns damit: Noch ist es nicht vorbei. Uns erwarten noch drei Tage Singapur. Also lassen wir Oskar heute so lange schaukeln, wie er will, auch wenn uns der kalte neuseeländische Wind längst wieder eingeholt hat und uns mitten im Sommer frösteln lässt. Das hat schon wieder was von Heimat, oder?

Auf Oskars Lieblingsspielplatz :-)

Abschied Teil II

Aufräumen. Das wird notgedrungen das Stichwort des Tages. Wir stehen immer noch am Meer in Kaikoura, doch ewig wird das nicht mehr so weitergehen. Nachmittags gegen 15 Uhr hatte ich der Campervermietung in Christchurch unseren Camper, unsere kleine Heimat für sieben Wochen, wieder zurück versprochen. Also aufräumen. Ehrlich, so schwer was das gar nicht, wir hatten mit der Zeit ja unsere ganz eigene Ordnung, unser System. Das viel Schlimmere war: innerlich aufräumen, umschalten. Wir schauen hoch auf die Berge. Sehen Wege, kleine, holprige Fahrstraßen. Jetzt losfahren, einfach mal gucken, wohin der Pfad uns führt, schießt es uns fast zeitgleich durch den Kopf, sprechen wir es aus. Wir sind noch nicht bereit, innerlich aufzuräumen. Die Neuseelandsehnsucht hat sich viel zu festgebissen. "Viel zu kurz, die Zeit, viel zu kurz!", jammern wir. Obwohl wir doch so viel gesehen haben. Aber direkt wieder losfahren würden, nochmal dorthin, wo wir waren, alles nochmal in Ruhe anschauen, weiteres Neuland entdecken. Oskar lamentiert auch. Er will sich partout nicht vom Spielplatz trennen. Aber wir müssen los...

Wir sagen den Robben auf den Felsen innerlich Tschüss, sehen Schwimmer, die um sie herum paddeln. Oskar tritt zwischendurch immer wieder den Gang raus. Daran merken wir, wie viel Zeit vergangen ist seit unserem Start in Auckland. Da war er noch so klein, dass er grad mal mit der Zehe am Schaltknüppel gekitzelt hat. Weingüter liegen links und rechts der Straße. Müssen wir mal hin, irgendwann. Wenn wir mal wiederkommen. Wann auch immer. Viel zu schnell sind wir in Christchurch, kein Stau hält uns auf. Wir haben uns für zwei Nächte am Stadtrand bei einem Pärchen einquartiert, dass in seinem Haus Gästezimmer vermietet. Noch einmal bei echten Kiwis wohnen. Airport-Transfer inklusive, da mussten wir zuschlagen. Tatsächlich ist der Flughafen und damit auch die Happy-Camper-Station nicht weit, wir fahren quasi dran vorbei. Ein letztes Mal einkaufen.

Wir kommen am Haus von Vermieterin Judith an. Macht einen netten Eindruck, aber keiner öffnet. Ich werde leicht hektisch. Wir räumen unseren Camper leer, stellen alles in der Garage ab, entdecken noch abzuwaschendes Geschirr, Schmutz hier und da, die Uhr tickt und tickt. Und Oskar macht natürlich in dem Moment nochmal kräftig in die Hose. So sehr, dass er neue Sachen braucht. Die liegen natürlich irgendwo ganz unten. Konnte ja keine ahnen, dass er ausgerechnet heute zweimal sein großes Geschäft verrichtet, das die Windel und die Mutter überfordert. Denn tanken müssen wir ja auch noch! Wo war nochmal die Tankstelle? Der Zeiger der Uhr nähert sich beunruhigend schnell der 15-Uhr-Marke. Und natürlich sind jetzt alle Ampeln rot. Und natürlich verkippt das Kind vorn auch noch sein Wasser. Der alltägliche Wahnsinn.

Etwas derangiert kommen wir drei an. Haimon parkt betont emotionslos ein. Fertsch. Das macht mich gleich nochmal wahnsinnig. Wie kann man nur nicht melancholisch werden! Doch gemach, das ist er schon auch. Zumindest schaut er in den nächsten zwei Tagen recht häufig auf Straße und Camper, ob "unserer" dabei ist... Der Happy-Camper-Mann geht schnell unseren Wagen durch, hakt Listen ab, hört sich die gar nicht mehr so wehleidig klingenden Klagen ob der undichten Fenster und tropfenden Lüftung an und bietet uns dann an, uns zurück zur Wohnung zu fahren. Und es ist so komisch, wieder in einem Pkw zu sitzen. Schrecklich!

Im Garten unserer Vermieter machen wir es uns kurz bequem, bis uns der Sohn des Hauses entdeckt. Er war wohl die ganze Zeit da, hatte nur dank Kopfhörer nichts gehört. Soso. Wir beziehen unser schönes Zimmer und atmen durch. Da war doch noch was! Wir schauen uns an, schauen Oskar an. Hatten wir heute eigentlich schon...  doch, klar, aber nur kurz, viel zu kurz. Alles Gute, kleiner Mann. Ein Jahr hält er uns nun schon auf Trab. Wir spazieren mit ihm noch durch die ruhige Nachbarschaft, entdecken Spielplätze. Lernen unsere Vermieter kennen. Und wieder ein englisches, älteres Pärchen. Auch Urlauber, die sich bei Judith einquartiert haben. Wie schön. Noch lange sitzen wir abends zusammen, reden übers Reisen, Abschiede von Ländern und neue Abenteuer. Und über die Erdbeben, die in Neuseeland leider dazugehören. Christchurch hatte es 2011 arg erwischt. Man sieht es heute noch, ein bisschen wie Krieg, meint unser Engländer. Das werden wir uns morgen anschauen. Jetzt verschwinden wir erstmal im Bett. Einem richtigen Bett. Ohne einen surrenden Kühlschrank daneben. Ohne eine kleine Walze, die sich ankuschelt. Die liegt nämlich unten am Bettrand auf ihrer Matratze. Irgendwie seltsam...

Geburtstagskind!!!