Viel zu spät begreifen viele die versäumten Lebensziele: Freude, Schönheit der Natur, Gesundheit, Reisen und Kultur. Darum, Mensch, sei zeitig weise! Höchste Zeit ist's: Reise, reise! - Wilhelm Busch

Samstag, 18. August 2012

GR20 Süd, 7. Etappe: Refuge Paliri - Conca

Der Wecker der Uhr piepst diesmal nicht ganz so früh, irgendwann gegen 7 Uhr, die Nacht war kurz, der Staub überall erinnert noch an den nächtlichen Hubschrauberbesuch. Wir krabbeln aus dem Zelt, die Wolken hängen tief über unseren Köpfen, kuscheln sich an die Felskulisse. Wir machen uns ein kleines Frühstück, draußen stehen auch Kocher, der heiße Kaffee ist also gerettet. Wenig später erscheinen auch unsere drei Deutschen, die Kleine hat den Heli-Einsatz offenbar tatsächlich verschlafen, ist mir schleierhaft, wie sie das geschafft hat, während sich ihre Mutter gegen die Zeltwand gestemmt hat, damit nichts umkippt. Schnell wird klar, dass wir den letzten Wandertag nicht alleine beschließen werden, sondern mit den anderen dreien.




Ich stehe solchen Zusammenschlüssen in meinem tiefsten Inneren skeptisch gegenüber, grade jetzt, wo ich viel mehr auf mein eigenes Tempo achten muss und gern vor mich hin trotte, hin und wieder Fotos mache, mich in Gedanken verliere, bis Haimon sich umdreht, kurz wartet und wir eine kleine Trinkpause einlegen. Geredet wird hin und wieder, aber unterm Strich ist es ruhig, in stillem Einverständnis. Damit war es nun aber vorbei. Nicht nur, dass die Kleine wie ein Automat zwei Stunden lang Kindernamen ausspuckte, obwohl wir mehrmals versichert hatten, absolut noch nicht darüber nachzudenken und nachdenken zu wollen. Um dieser Diskussion zu entgehen, wollte ich den Platz ganzen hinten als Letzte einnehmen. Da war aber schon die Mutter der Kleinen, die ihre Ruhe haben wollte, wie sie auch rundheraus sagte, was sie mir sogleich sympatisch machte. Also lief ich als Vorletzte, ließ mich mit ihr ein bisschen zurückfallen.



Kaum, dass wir etwas losgelöst von den anderen waren, begann der Sprechautomat HINTER mir, ich fiel fast vom Glauben ab. Und war eine Stunde später um viele Geschichten zu misslungener Kindererziehung, auf das Baby folgender Partnerschaftsprobleme und vieler aufgrund der Kinder begrabener Träume reicher. Zu allem Übel wurde es auch noch immer heißer, wir kamen ja in tiefere Regionen, was aber den ein oder anderen schweißtreibenden Aufstieg nicht ausschloss - wenigstens war da mal Ruhe. Eine Quelle unterwegs entpuppte sich als klitzekleines Rinnsal, in das wir ein Blatt legten, was den winzigen Wasserstrom in unsere Trinkgefäße umleiten sollte, während sich zig Mücken gütlich an nackten Wandererwaden taten.

Endlich erreichten wir das Tal, endlich die Gumpen mit ihrem kühlen Wasser. Die Franzosenjungs, die wir öfter sahen, aalten sich schon auf den Steinen und sahen uns belustigt zu, wie wir durchs Wasser quietschten. Die Abkühlung war bitter nötig, mittlerweile kam zur Mittagshitze auch eine drückende Schwüle hinzu, aber immerhin auch ein paar Wolken, sodass wir anschließend nicht mehr ständig unter der brennenden Sonne liefen. Dafür quälten mich wieder tausende Namensvorschläge, auch hatte ich keine Lust Name-Stadt-Land zu spielen, sondern wollte mich lieber innerlich von dieser schönen Landschaft verabschieden, die wir hinter uns ließen. Zuletzt begann Genöle von allen Seiten, dass der Weg jetzt aber eintönig sei. Waldbrände haben sich rund um Conca durch die Landschaft gefressen und nun sieht man statt Pinien eher Macchia. Immerhin finden wir am letzten Pass noch ein bisschen Schatten und Bäume, machen uns über geräucherten Schinken her, den Klaus auspackt und treten frisch gestärkt den Abstieg an, das Ziel vor Augen...



Es ist ein seltsames Gefühl. Asphalt unter den Schuhen. Häuser links und rechts. Ein Ortsteil, der sich Radicali nennt, irgendwie passend zu manchen Stellen des GR20, den wir hinter uns haben. Wir kommen vorbei an nach Marzipan duftenden Feigenbäumen, Blumen, sattem bewässerten Grün. Und landen in der erstbesten Bar, stürzen uns auf Orangina und Eis, ziehen die Wanderschuhe aus und genießen unseren Erfolg, sieben Tage, um die 7.000 Höhenmeter. Zwei Kanadier, die die drei Deutschen kennen, gesellen sich zu uns, beide haben den kompletten GR20 geschafft und sich mit entsprechenden T-Shirts eingedeckt.


Nach einer Stunde heißt es Abschied nehmen. Unsere Drei fahren mit dem Bus weiter zum Campingplatz am Meer, wo der Vater der Kleinen mit Geschwisterkind wartet. Wir erfragen noch schnell den Fahrplan nach Bonifacio bzw. erstmal Porto Vecchio für den nächsten Tag und trotten dann die Dorfstraße hinunter zu unserem Campingplatz, La Tonnelle. Wieder an einem Fluss, wunderbarer Schatten, warme Duschen mit einem Bewohner, einer respektabel großen Tarantel, die aber sehr schnell Reiß-Aus nahm, als sie Menschen bemerkte...

Das Abendessen war unsere Belohnung für die vergangenen entbehrungsreicheren Tage - 3 Gänge, Fisch bzw. Steak (was sonst, Haimon? ) und süßer Nachtisch. Ach, und nachts zahlreiche Düüüüd-düüüüüd-düüüüd der Zwergohreulen. Oh Corsica, je t'aime :-)

Montag, 13. August 2012

GR20 Süd - Nächtliche Ruhestörung

Der letzte Abend in den Bergen bricht an. Wir sitzen noch vorm Zelt, schauen zu den Felsen, die das Abendrot in sanfte Rosatöne taucht, Dunst langsam dahinzieht. Der Hüttenwirt kommt auch noch rum, nett, denke ich, wünscht er uns jetzt eine Gute Nacht? Doch er hat anderes mitzuteilen, sein Ziel ist ein Zelt von 2 deutschen Mädels, ein Stück weiter oben im Gebüsch nahe der schönen Ebene, die ich schon als Lagerplatz auswählen wollte. Sie sollten lieber ihr Zelt verlassen oder ganz verschwinden, denn der Helikopter käme.

Endlich, in den trägen Abend kommt auf einmal Bewegung, Glanz in die Augen, ein Hubschrauber kommt, landet hier, au, wie fein, das denken wir, das denken viele und so stehen wir dann da, gaffen in den Himmel, lauschen gespannt, gaffen, lauschen - und nichts passiert. Also fangen wir an zu spekulieren, warum der Hubschrauber kommt. Wir haben nichts von Verletzten gehört, also scheidet die Variante aus. Viel wahrscheinlicher erscheint es uns, dass der Hubschrauber Vorräte bringt in die mit Autos unzugängliche Hütte. Klaus, unser Deutscher, freut sich schon auf kühles Bier, ich denke an Schokolade - und gaffe weiter. Langsam lastet die Dämmerung schwer über dem Land, gucken wird anstrengend. Es ist kurz vor zehn, es wird richtig dunkel. Na, dann eben nicht, kommt er halt doch nicht, der Hubschrauber. Enttäuscht krabbeln wir zurück ins Zelt, in die Schlafsäcke, sorgen noch für eine halbe Stunde Extra-Aufruhr, weil wir unseren Deutschen auf die Frage, ob wir mal Kinder wollen, mit der Realität antworten und sofort mit tausend Fragen zu Namen, Geburtsweise etc. überhäuft werden. Dann hat auch das ein Ende, Haimon schnarcht schon, ich denke über all die Baby-Geschichten, mit denen ich in den letzten Tagen überhäuft wurde, nach und ärgere mich über die Franzosen draußen, die immer noch rumstehen, Löcher in die Luft gucken und ratschen. Habt Ihr kein Zuhause, denke ich irgendwann, es ist stockduster mittlerweile, die Franzosen ratschen immer noch, Haimon schläft den Schlaf des Gerechten und ich dämmere endlich auch leicht weg - bis ich es höre. Ein leises, weit entferntes Brummen. Der Helikopter!

Ich schnelle hoch, rüttle Haimon gnadenlos wach, "der Heli, der Heli, er kommt doch", reiße das Zelt auf, während Haimon die Augen zukneift, geblendet vom Licht meiner Stirnlampe, mit der ich aufgeregt rumfuchtle, während ich schon halb aus dem Zelt hänge, um einen Blick auf das kleine blinkende Etwas am Nachthimmel zu erhaschen, das erst in großer Höhe über uns hinwegfliegt. Haimon brummt enttäuscht. Die Franzosen gestikulieren mittlerweile ganz aufgeregt, werden zu einem wahren Hühnerhaufen, als der Heli doch dreht und sich schnell absenkt, Kurs nimmt auf die kleine Ebene vor unserem Zelt. Und da erst dämmert es uns wirklich. Das Ding wird vor unserer Nase landen! Wir schauen uns an, doch die freudige Aufregung überwiegt, geil, ein Heli! Die Franzosen wedeln inzwischen aufgeregt mit ihren Stirnlampen und bilden einen Landekreis. Fünf Meter vor unserem Zelt. Dann plötzlich ist ihr Licht unscheinbar. Der Helikopter hat seinen Scheinwerfer gedreht, der Kegel gleißenden Lichts fährt über den Boden, es wird lauter und unser Zelt unglaublich hell. Das Licht bleibt, bewegt sich nicht mehr, nur das Schrabb-schrabb-schrabb des Hubschraubers wird immer lauter. Scheiße, er zeigt mit dem Licht auf unser Zelt. Wieder gucken wir uns an, die Begeisterung in meinen Augen ist gewichen. Ein, zwei Schrecksekunden, ewig lang. Unser Zelt ist schwarz, scheiße, wenn er uns nicht recht sieht, denke ich, spreche ich aus, Haimon versucht gegen diese Sorgen zu brüllen, etwas anderes würde ich auch nicht mehr verstehen, ach, so ein Mist, wir sollten vielleicht das Zelt zumachen, bei dem Wind, der alles aufwirbelt, ich nestle mit einer Hand am Reißverschluss, die andere umkrallt sinnloserweise noch die Lampe, ich reiße den Reißverschluss hoch, fast ist es geschafft, doch dann klemmt er. Lässt einen 20 Zentimeter großen Spalt offen, ich rüttle, brülle ihn an, zwecklos, hilflos kniee ich davor, fange mit Kopf und Schulter allen Mist ab, der da in unsere Richtung gewht wird.

Haimon hat sich schon hinter mich verkrochen, lehnt gegen das Zelt, was sich donnernd gegen den Wind des Helis wehrt, der seinen Lichtkegel nun leicht verschoben hat, kurz überm Boden vor uns schwebt. Ich versuche das Zelt oben zuzuhalten, kriege aber weiter die volle Ladung Sand, Staub, Dreck ins Gesicht - in die Augen, die Nase, zwischen die Zähne. Lehne auch gegen die Zeltwand, die erstaunlich robust hält gegen den orkanartigen Sturm draußen. Dann sehe ich, dass der Reißverschluss des Eingangs auch unten leicht offen ist, also drückt es auch von dort allen Staub zu uns rein. Ich komme mir vor wie in einem Sandkasten, in dem ein Dreijähriger Amok läuft, mit beiden Händen wühlt und wühlt und Sand verteilt.

Immerhin ein Gutes hat der Spalt - wir können alles sehen, trotz Sandkörnern in den Augen, trotz Scheinwerfern. Ein Rettungshubschrauber steht da vor uns, Sanitäter laufen raus, kommen wieder zurück, hinter ihnen ein Mann, ob es nun der Verletzte war (es kursieren Gerüchte, einer hätte sich den Arm gebrochen...vielleicht ein singender Baske, den der Wein von der Terrasse befördert hat?!) oder eine Begleitung eines wirklich Schwerverletzten, wir werden es nie erfahren. Durchatmen, durchhusten, was auch immer möglich ist in der kurzen Zeit, in der die Rotorblätter nur langsam durch die Luft schneiden. Alsbald heult der Motor wieder auf. Der Heli muss aufsteigen, ich wieder das Zelt zuhalten. Ich drehe mich zu Haimon um. Was, wenn der Heli im Aufstieg die hohen Bäume neben ihm rammt, frage ich rhetorisch. "Dann war's das", kommt trocken zurück. Für uns und den Heli, piepse ich, bevor ich lieber wieder die Klappe halte, um nicht erneut allen Sand zwischen die Zähne zu bekommen, als der Heli abhebt, langsam, geradlinig, dann immer schneller. Und plötzlich ist es wieder still. Ganz still, bis auf das Fiepen im Ohr. Und dem Husten, Niesen, Räuspern, Ausspucken, Isomatten-Schlafsack-Ausschütteln von uns Zweien, die sich ein paar Stunden zuvor noch auf dem Landeplatz des Helis häuslich einrichten wollten... die Mädels weiter oben haben's übrigens auch überstanden. Achso, und die Eule, sie war Zeuge. Als sei nichts geschehen, rief sie des Nachts und scheuchte den letzten Schreck aus meinen Gliedern. Und ließ mich endlich auch einschlafen.

Dienstag, 7. August 2012

GR20 Süd, 6. Etappe: Refuge Asinao - Refuge Paliri

"Domani, variante alpina!!!" , morgen, alpine Variante, ja is klar, dachte ich mir am Vorabend, als ich dem kleinen Italiener die eitrigen Fersen verarztet hatte und er große Reden schwang. Und doch musste ich staunen, als er am nächsten Morgen fertig bepackt - und mittlerweile mit einem Shirt um die Rastas geschlungen, als Sonnenschutz - mit seinem Onkel da stand und dann zügig vor uns den Hang runtermarschierte. Wir wollten auf jeden Fall die alpine Variante des GR20 durch das Bavella-Massiv gehen.  Gut gestärkt mit dem Globetrottermüsli und einem halben Müsliriegel der Belgier schlossen wir uns den beiden aus Brescia an, ließen sie aber alsbald ziehen, irgendwo würden wir sie schon wieder einholen.


Der Weg war nämlich einfach zu schön, um zu hetzen. Felsen, Wolken in den Tälern, Blicke zurück zum Incudine. Wir wanderten an manchen zackig aufragenden Felstürmen entlang, bis sich schließlich die großen Türme der Bavella vor uns ausbreiteten, eine Waschküche des Teufels, wie der Nebel schnell über die Steine  strich, Wolken den Fels umhüllten, nur, um im nächsten Moment weiterzuziehen, nach oben aufzusteigen und sich im Blau des Himmels zu verlieren. Wir rasteten und blickten auf dieses Schauspiel, was unsere beiden Italiener schon eine Weile genossen und uns zu unserer Pause noch Süßkartoffelmarmelade reichten. Man hätte sich vorkommen können wie in einer verwunschenen Welt, wären da nicht die immer mal wieder auftauchenden Grüppchen schnaufender, rotgesichtiger Tagestouristen, die der Parkplatz am Bavella-Pass angelockt hat und die sich nun übermütig in ihr Abenteuer stürzen, manche völlig ohne Wasser zur Mittagshitze wie ein paar Jungs, deren Gepäck aber eher doch auf eine größere Tour schließen ließ.





Mitten drin in der Bavella sahen wir dann, warum diese Variante nun vor allem "alpin" genannt wird. Ein etwa 10 bis 15 Meter hoher Fels lag mitten im Weg, nichts führte um ihn herum, man musste drüber. Zur Hilfe gab es eine schwere Eisenkette, an der man sich entlanghangeln konnte. Das war ein Spaß, wenn auch ein schweißtreibender :-)


Weniger spaßig war der Abstieg hinunter zum Pass. Erst ließ sich der Weg nicht recht finden. Und dort, wo die Markierung dann zu sehen war, war nicht unbedingt bestes Durchkommen. Ein steiler, steiniger und rutschiger Pfad schlängelte sich in engen Serpentinen bergab, unerbittlich der Sonne ausgesetzt. Wer das ohne Wanderstöcke machen muss, der tut mir leid. Nicht besser als der Abstieg ist das, was einen unten erwartet, mal von den Kletterern abgesehen. Massenhaft Autos, reinste Blechlawinen, umzäunte Areale, Benzingestank, nölige Stadtkinder mit noch nöligeren Eltern auf Ausflug, was für eine Show. Immerhin, der Ausblick auf eine kühle Orangina und endlich wieder einen frischen Salat ließ mich das alles ignorieren und wir betraten die erstbeste Terrasse eines Restaurants. Während ein Kellner sich noch bemühte, zu lächeln und irgendwie nett zu sein, setzte seine junge Kollegin von vornherein ein Gesicht auf, als hätte sie eben an unseren Wanderschuhen gerochen. Mit spitzen Fingerchen und ausgestrecktem Arm servierte sie uns den Salada Nicoise, in dem alles drin ist, was man so braucht: Von der Kartoffel über die Tomate hin zu den Sardellen, die Haimon kurz mit einem Kellnerinnen-ähnlichen Blick bedachte, bevor er sie dann doch vertilgte.


Gut eine Stunde später waren wir auch schon wieder im Wald, hatten noch etwas Proviant gekauft und an der Dorfquelle Wasser gezapft. Nach ein paar Kilometern wurde es wieder sehr ruhig und am nächsten Anstieg waren wir schon wieder allein, allein mit dem Blick zurück auf die grandiosen Wolkenschauspiele der Bavella. Und dann standen wir da, auf einem der letzten Pässe des südlichen GR20, der Foce Finosa auf 1.206m, blickten hinunter auf die Wälder, das Türkis des Meeres an der Küste, das Blau der Mietzelte des letzten Refuges, immer noch ein gutes Stück weg, eine knappe Stunde. Wir guckten so in die Runde, schälten unsere wunderbar saftigen Orangen und waren fast etwas wehmütig.



Der Abstieg immer am Hang entlang war ein Spaziergang. So schafften wir es auch noch pünktlich zur Bestellung des Abendessens, hatten am Tisch dann redselige Franzosen um uns herum, die Basken einen Tisch weiter begannen zum Nachtisch auch noch zu singen, es wurde kühl, aber nicht mehr so kalt wie sonst, es war ganz einfach friedlich. Komplettiert hatten das Ganze übrigens noch unsere 3 Deutschen, die kurz nach dem Essen auch ankamen...

Wir hatten unser Zelt auf einer schönen ebenen Fläche aufgestellt. Erst wollte ich es noch weiter oben, wo es noch glatter war, hinstellen, doch Haimon hatte da so eine dumpfe Ahnung, dass es keine gute Idee ist. Es stand ja gar keiner dort, bei der Fülle an Zelten weiter unten verwunderlich. Nunja. In der Nacht haben wir dann erfahren, warum selbst unser letztendlicher Platz nicht wirklich gut war...



Sonntag, 5. August 2012

GR20 Süd, 5. Etappe: Bergerie Croce - Refuge Asinao

Es weht ein kühler Wind durch's Zelt, vor die Morgensonne schieben sich Wolken. Ich halte die Nase nach draußen. Tropf. Tropf. Och nöö. Regen? Etwas hastig rollen wir Isomatten und Schlafsäcke auf, zack, zack, da liegt auch schon das Zelt am Boden, zack, zack, ist es auch schon eingepackt. Und der Regen? Hat sich nach ein paar Tropfen wieder verzogen, geblieben ist der Wind, der feuchte Meeresluft heraufträgt. Nach 38 Grad am Vortag ist es am heutigen Morgen noch dazu recht angenehm. Wir setzen uns unter den Zeltpavillon, bestreichen unsere Baguettescheibchen mit bittersüßer Clementinenmarmelade und schauen zu, wie das Pferd des Hüttenbesitzers langsam immer näher kommt. Sobald Herrchen außer Sichtweite ist, steht es fast schon unterm Pavillon, schnappt tatsächlich nach der Salami, dann nach Brot, ist auch fast erfolgreich, da bekommt es erst von mir einen sanften Stubs aufs vorwitzige Maul, dann kommt auch schon der Patron um die Ecke. Das Pferd trollt sich, aber nicht weit weg. Immer wieder schielt der Fuchs nach den Tischen, bevor er sich dann doch für das trockene Gras entscheidet...

Wir ziehen alsbald los, eine kurze Etappe haben wir vor uns, mit einem Highlight: der Besteigung des Monte Incudine. Auf über 1.300m laufen wir los, 2.136m sind das Ziel. Das haben wir immer vor Augen, sanft geht es bergauf, Steine, Sträucher, Gräser am Wegesrand. Wir bekommen ein bisschen Respekt vor uns selbst, als wir zu unserer Linken blicken. Da erheben sich all die Berge, über die wir gekommen sind, der morgendliche Dunst hängt noch an den Hängen. Zu unserer Rechten können wir schon das Meer erahnen, doch zu diesig ist es, als dass wir etwas sehen würden. Hinter uns sind recht bald die Belgier, Vater und Tochter marschieren unbeirrt an uns vorbei, während sich die Mutter an unsere Fersen heftet. Sie schnappt schon wieder nach Luft, doch mit unserem Tempo hält sie bald ganz gut mit. Nur ganz auf den Incudine rauf getraut sie sich nicht. Schade, denn die 20 Minuten mehr, die es kostet, um vom GR20 abzuweichen und auf den Gipfel zu gehen, die hätte sich auch geschafft. So verabschieden wir uns von ihr, sie wartet auf Mann und Kind, wir folgen den beiden.



Oben weht wieder dieser Wind, der an Meer und Berge gleichzeitig erinnert. Und wir sehen es schließlich auch, das Meer, wie es im Nebel der Küste verschwimmt, da unten, irgendwo da hinten, da liegen sie, die Ölsardinen an den Stränden, und noch weiter weg, selbst mit konzentriert zusammengekniffenen Augen heute nicht zu erblicken - Sardinien. Noch unvorstellbar, dass wir da bald sind. Da schauen wir lieber erstmal auf die bizarren Felsen, die sich unweit des Incudine aufbauen, das Bavella-Massiv. Morgen wandern wir da lang. Irgendwie realistischer als an Strände auf Sardinien zu denken... Darauf ein letztes Nutella-Schnittchen. Denn der Abstieg zur schon sichtbaren Asinao-Hütte soll es in sich haben...


Wir kraxeln, treten kleine Steinchen los, rutschen weg, fangen uns sicher ab, hören das Fluchen der kleinen Belgierin, die urplötzlich statt einer Gemse wie bergauf nun einem Hahn auf dem Mist gleicht, wie sie sich den steilen, steinigen Weg herabtastet. Wir kommen alle heil unten im Refuge an, es ist kurz nach Mittag, keiner da bis auf ein paar Wanderer. Der Wirt galt eigentlich als komplett unhöflich, viel hatte ich im Netz gelesen, und nichts bewahrheitete sich: nach einer halben Stunde stand er nämlich plötzlich vor uns. Zerzaustes Haar, Feinrippunterhemd und schief sitzende Boxershorts, kleine, grade aufgewachte Augen - und ein Lächeln. Haben wir ihn also aus seinem Mittagsschlaf geholt. Doch er konnte drüber lächeln. Und tat das auch sonst noch recht oft an diesem Tag :-)

Nach etwas sehr bissfesten, mitgebrachten Fertignudeln, deren Bolognesesoße recht fleischlos war, legten wir uns ebenfalls zum Mittagsschläfchen hin. Die Belgier hetzten indes weiter zum Col de Bavella, mindestens 5 Stunden mehr. Bekloppt. Sie hatten Hoffnung, dort ein Hotelzimmer zu finden, weil ihnen das Schlafen im Zelt zu Dritt auf die Nerven ging. Sie ließen uns 2 Frühstücksriegel da, die sie nicht mehr schleppen wollten. Die Dinger waren aber auch schwer...

Gegen Nachmittag staunten wir nicht schlecht. Der ältere Italiener kam aus der Dusche - eingemummelt in einen roten Fleecebademantel! Das gute Stück hatte er über Stock und Stein jeden Tag mitgeschleppt! da sahen wir ganz schön alt aus mit unserem 40x70 Funktionshandtuch ;-)




Wenig später kam dann der kleine Italiener zu unserem Zelt gehumpelt. Er hatte sich die Fersen ordentlich aufgerieben, eine eiterte auch schon etwas. Ob die "dottora tedesca" nicht etwas dagegen hätte. Ich hatte kurz vorher dem Älteren gesagt, dass wir gut ausgerüstet sind und ich dem Kleinen was geben könne. Also bekam er ordentlich Wundspray drauf und abends eine Heilsalbe. Dafür spendierte der Alte Haimon zum Abendessen ordentlich warmen Rotwein zu unserem ebenfalls mal wieder sehr bissfesten Milchreis aus der Tüte. Wir kochten diesmal selbst an den Gaskochern, die für die Wanderer an den Refuges zur Verfügung stehen. Obwohl es auch im Asinao ein wunderbares Abendessen gegeben hätte. Wir wollten aber nicht mehr so viel schleppen, wussten wir doch von 2 entgegenkommenden Jungs aus Augsburg, dass wir im nächsten und damit schon letzten Refuge auch ein warmes Essen bekommen würden. Doch es lockte uns diesmal auch der Käse. Rohmilch hin oder her. Er sah einfach zu gut aus. Diesmal war Haimon dran mit Bestellen, ich sagte ihm, was er sagen musste. Was auch immer er dann aber ganz selbstbewusst sagte, der Hüttenwirt guckte skeptisch, erhob lehrerhaft den Zeigefinger und formte zur Freude eines jeden Französischlehrers jeden Vokal überdeutlich einzeln..."FROOOO-MAAAAA-SCH". Haimon wähnte sich genau dies gesagt zu haben und murmelte es deutlich schüchterner nach. Und wieder sagte der Hüttenwirt mit einem Grinsen, "non, non, c'est FROOOOO-MAAAAAA-SCH", äh, ja, meinte Haimon, sammelte sich und machte schließlich beim nächsten Versuch beim O das gleiche Fischmaul wie der Wirt und beim A hätte eine Banane quer reingepasst. Der Wirt grinste wieder und schob für 10 Euro endlich den guten Käse über die Theke :-)

Kaum, dass die Sonne hinter den Bergen verschwand, wurde es kalt. Der Wind pfiff in immer kräftigeren Böen über die Holzterrasse der Hütte, Wolken schoben sich hinauf bis zu uns. Immer wieder suchte ich die Hänge des Incudine ab. Unsere drei Deutschen fehlten ja noch. Sie hatten es am Tag davor offensichtlich nicht bis zur letzten Bergerie geschafft. Schweine, Kälber, allerlei Viehzeug kam jetzt den Hang hinab. Und dann doch, ganz weit oben waren drei Gestalten zu erkennen. Und wenig später war klar, wer es war :-)